Bochum. . Regisseur Herbert Fritsch spricht über seine Bochumer Skandal-Inszenierung „Die Philosophie im Boudoir“ nach Marquis de Sade – ein Interview.
Selten hat eine Inszenierung die Theater-Gemüter im Revier derart erregt wie „Die Philosophie im Boudoir“ nach dem gleichnamigen Traktat des Marquis de Sade, wie sie der Erfolgsregisseur Herbert Fritsch (67) am Bochumer Schauspielhaus inszeniert hat. Das Premierenpublikum reagierte auf die expliziten Gespräche über sadomasochistische Sexualpraktiken mit Massenflucht. Sven Westernströer sprach mit einem hörbar irritierten Herbert Fritsch.
Viele Zuschauer reagierten nach der Premiere ziemlich entsetzt oder verließen vorzeitig den Saal. Hatten Sie damit gerechnet?
Fritsch: Nein, überhaupt nicht. Ich bin erstaunt über die Heftigkeit einiger Reaktionen. Und es erstaunt mich, wie wenige Reizworte es bedarf, um ein Urteil zu fällen. Schließlich haben wir keinen einzigen nackten Körper gezeigt, nicht einmal einen Koitus haben wir simuliert. Was wir zeigen, ist ein reines Spiel mit Gedanken. Dass dies allein schon eine solche Wirkung erzeugt, überrascht mich sehr.
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Nun ja, für manch zarte Gemüter sind diese derben Schilderungen schon heftig. War das kalkuliert?
Es gibt so viel Widerlichkeiten auf der Welt, so viel Ekel und Gefühlskälte, über die sich niemand aufregt. Warum gibt es darüber keinen Aufschrei? Man muss sich nur den Skandal um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche ansehen, das wird alles still und leise abgehandelt. Wir haben das nur in konzentrierter Form auf die Bühne gebracht. Und das Theater ist ein geschützter Raum, in dem das möglich sein muss. Denn es geht in dem Stück um viel mehr als nur um Sex. Es geht um Gewalt, Verbrechen und um gefährliche Gedanken, die auch unsere Gesellschaft betreffen. In die seltsam aufgeheizte Zeit, in der wir leben, passt das Stück perfekt. Es zeigt, wie dünn die Decke der Zivilisation ist.
Möglicherweise hatten einige Besucher Probleme, weil sie nicht wussten, was auf sie zukommt.
Es kann schon sein, dass der Marquis de Sade heutzutage nicht mehr jedem Menschen etwas sagt. Aber solche Texte wie von de Sade gibt es verfälscht und auf rein Pornografisches gekürzt massenweise. Man muss nur ins Internet schauen und findet dort wildeste Pornografie, wie vermutlich nicht mal de Sade sie sich ausgemalt hätte. De Sade hat einfach seine Gedanken schweben lassen.
Haben Sie vielleicht mal über eine Altersempfehlung „ab 18“ nachgedacht?
So etwas muss die Theaterleitung entscheiden. Aber eigentlich hat der Text einen solch schrägen Humor und ist dermaßen übertrieben: Das kann man nicht ernsthaft als Pornografie begreifen. Das hat doch schon eher was Komödiantisches. Aber es stimmt schon: Für Kinder ist das sicher nichts.
Wie haben Sie denn selbst die Premiere erlebt? Waren Sie auch im Saal?
Nein, das bin ich nie. Ich habe es mir in der Dramaturgie über einen Monitor angesehen. Da sieht man aber nur die Bühne und nicht den Zuschauersaal. Erst als ich beim Schlussapplaus auf der Bühne stand, habe ich die etwas aufgeheizte Stimmung gespürt.
Nach „Murmel Murmel“ dachten wohl einige, dass sie erneut eine wundervolle Komödie serviert bekommen...
Es kann schon sein, dass ich diesmal hart an der Grenze geschrammt bin, aber das tue ich eigentlich in all meinen Arbeiten. Wenn jeder von mir jetzt nur Komödien erwartet, dann tut’s mir leid. Aber ich verspreche, dass ich in der kommenden Spielzeit ans Bochumer Schauspielhaus zurückkehren und dort erneut meinen Ruf aufs Spiel setzen werde (lacht).