Gelsenkirchen. . Eine Opernrarität - und das Publikum feiert sie lautstark. Samstag war in Gelsenkirchen Premiere von Bizets „Perlenfischern“.

Unter den Opern, die in Sri Lanka spielen, ist Bizets „Perlenfischer“ die einzige. Natürlich war der Komponist nie dort. Der Mann hat es selbst für „Carmen“ nicht mal bis Andalusien geschafft.

Aber was tat es? Die Musikwelt der Zeit war derart versessen auf Opern als Fernreise-Veranstalter, da war Exotik die halbe Miete. Die andere Hälfte regierte eine Musik, die vorgab, die Klänge ihrer Helden zu kennen. Dass 1863 Inselbewohner an den Ufern der Lakkadivensee zu ihrem Tagewerk weder mit Harfe noch Piccoloflöte aufspielten, scherte niemanden: irgendwie auch ein Zeichen kolonialen Hochmuts.

Der junge Oberhausener Manuel Schmitt inszeniert am „MiR“ George Bizets „Les Pêcheurs de perle“

Da leistet Manuel Schmitts Regie Wiedergutmachung. Dem erst 30-jährigen Oberhausener hat das Musiktheater im Revier die Deutung der selten gespielten „Pêcheurs de perle“ anvertraut. Dem Pittoresken einer Dreieckstragödie, von der das raffiniert orchestrierte Werk mit Wellengewisper und Götterbeschwörung überbordend erzählt, erteilt Schmitt eine Absage. Seine Perlenfischer – auch wenn er sie szenisch musical-aufdringlich wie unterdrückte „Misérables“ wüten lässt – sind Menschen von heute. In Bernhard Siegls Bühnenbild eines Industrie-Dorfs entsteigt die größte Perle einer Muschel als: goldene Weltkugel. Wenn also die Ceylonesen sich die Angst vor bösen Geistern aus der Seele singen, schreien sie ihre Wut der Gier jener Luxuswelt entgegen, der sie täglich Opfer bringen. Die globale Wirtschaftselite schickt im Gegenzug Tränengas.

Dass Menschen für Schmuck sterben, spricht die Inszenierung überdeutlich aus. Die nebeltransparente Folie (ein Leitmotiv des Abends) deutet erst den Tauchgang – ein szenischer Coup! – von der Decke bis zur Bühne an, später werden in ihr tote Fischer abtransportiert.

Die Opern-Exotik wird am „MiR“ kräftig politisiert – es geht um Globalisierung und Ausbeutung

Was bei Bizet kaum mehr als Kulisse ist, dominiert und politisiert den Abend. Dennoch kommt das Hauptrollen-Trio nicht unter die Räder eines Abends à la Amnesty International. Die Liebesgeschichte zwischen der weitgehend keuschen Hindu-Priesterin Leila und ihren zwei perlenfischenden Verehrern Nadir und Zurga löst sich vielfach aus den Bildern kapitalistischer Unterjochung. Aus den verschiedenen Schlüssen der Oper wählt Gelsenkirchen den ersten, tröstlichen. Am Ende entfliehen Leila und Nadir dem Flammen-Inferno. Zurga, eine alte Schuld einlösend, schützt das Paar und opfert sich.

Nicht alle Häuser der Region haben Glück mit Spielplan-Raritäten. Die Euphorie, mit der das Premierenpublikum Samstagnacht diese Perlenfischer feierte, war groß. Allein die unter Giuliano Betta formidabel präzise, zugleich stets den romantischen Puls der Oper fühlende Neue Philharmonie Westfalen lohnt den Besuch – nicht weniger der grandios auftrumpfende Opernchor, der Angst und Aufbegehren packend ausformt. Beide Herrenpartien kämpfen, doch das nicht allein um Leila: Stefan Cifolellis Nadir zeigt herzerweichende Tenor-Melancholie – leider viel zu leise. Auch Piotr Procheras Zurga – nicht pauschal viril sondern mit farbigen Baritonfacetten – hat Konditionsprobleme. Nahezu perfekt (wenn sie ihren Gesang noch um die sinnliche Dimension der Anbetungswürdigen erweitern könnte) ist Dongmin Lees Leila. Die großen lyrischen Bögen, die Perfektion der Trillerketten – ein Sopran aus Seoul als Weihnachtsgeschenk. Begeisternd!

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Georges Bizet: Die Perlenfischer. Musiktheater im Revier. Gelsenkirchen. Dauer 2,5h, eine Pause. Nächste Aufführungen 27. und 30. 12. Im Januar am 4., 19. und 27.

Karten (15-48€) gibt es unter 0209-4097200 oder unter musiktheater-im-revier.de