Baden-Baden. . Bausa, Capital Bra, Bonez MC und RAF Camora sind die Abräumer 2018 – doch hat sich kein Album öfter verkauft als „Helene Fischer“. Ein Rückblick.

Neulich klingelte es. Vor der Haustür stand ein Karton, der wog 24 Kilo – verteilt auf 48 Halbliterdosen Bier, versehen mit dem gezeichneten Konterfei von Bausa. Was uns das sagt? Läuft bei Bausa. Wie geschmiert. Der 29-Jährige, eigentlich Julian Otto aus dem schwäbischen Bietigheim-Bissingen, hat mit seiner Romantik-Rap-Pop-Nummer „Was du Liebe nennst“ Geschichte geschrieben. Neun Wochen auf Platz 1 der deutschen Single-Charts – länger als jede andere deutsche Hip-Hop-Nummer vor ihm (und in der Gesamtsinglejahresabrechnung nur übertroffen von der litauisch-italienischen Dance-Music-Kombi Dynoro & Gigi D’Agostino mit „In My Mind“). Da kann man schon mal einen ausgeben.

Deutschsprachiger Rap ist das dominierende Genre des Jahres. Capital Bra schaffte es in den sechs Monaten zwischen April und Oktober beeindruckende sieben Mal auf Rang 1 – mit sieben verschiedenen Stücken wohlgemerkt. Dieser Capital Bra (24) kam mit sieben Jahren aus Sibirien als Vladislav Balovatsky nach Berlin, und er ist der Schwiegermutter etwas schwerer zu vermitteln als der Bier-Bausa. Capital Bra ist Straßenrapper, ein harter Junge mit Jugendstrafen und Schulrausschmissen, der seine Energie nun in das stete Raushauen von Hits wie „Berlin lebt“ oder „Neymar“ investiert.

Noch erfolgreicher aber sind Bonez MC (John-Lorenz Moser, 33, Mitglied der Hamburger Hip-Hop-Crew 187 Straßenbande) und RAF Camora (Raphael Ragucci, 34, geboren in der Schweiz, aufgewachsen in Wien, lebend in Berlin). Das Traumduo des deutschen Dancehall-Raps besetzte im Oktober mit drei Songs die ersten drei Plätze gleichzeitig, das gab es noch nie zuvor in der Geschichte der Charts.

Doch wer jetzt denkt, dass diese Sprechsänger nur mit Single-Streams Erfolg haben, der täuscht sich gewaltig. Dritterfolgreichstes Album des Jahres in Deutschland? „Wolke 7“ von Gzuz, ebenfalls Teil der 187 Straßenbande. Vor Gzuz rangieren bei den Alben nur Bonez MC & RAF Camora sowie unangefochten an der Spitze jene 34-jährige Blondine, über die ihr Plattenfirmenboss Tom Bohne sagt: „Es sieht so aus, als könnte sie alles schaffen.“ Im zweiten Jahr hinterein­ander hat sich kein Album öfter verkauft als „Helene Fischer“ von Helene Fischer. Sie spielt jetzt in der Liga von Katy Perry oder Beyoncé, laut „Forbes“-Magazin kommt sie 2017/ 2018 weltweit auf Platz 8 der bestverdienenden Sängerinnen, Einkommen: 32 Millionen Dollar.

Den ungefähr 547. Frühling erleben Abba, vor allem dank der Musical-Klamotte „Mamma Mia! – Here We Go Again“, aber auch wegen des geschickt dosierten Rinnsals neuer Aktivitäten und Spekulationen. Mit den Schweden nach oben gespült wurde die unzerstörbare Cher, die im Film mitspielt und ein Album mit Abba-Coversongs auf den Markt geschleudert hat. Komplett neu, nämlich ungeschminkt, zeigt sich die sonst so aufgemotzte Lady Gaga in ihrer Rolle als Ally in „A Star Is Born“, einer Aschenputtel-wird-Superstar-Schmonzette mit Bradley Cooper, hohem Heulfaktor und dramatischen Songs. All das macht Gaga und Cooper zu Grammy- und Oscar-Favoriten. Oben angekommen ist auch Ariana Grande, das früher etwas hochnäsig wirkende Pferdeschwanz-Mädchen mit der Vier-Oktaven-Stimme. Mit dem Sexy-Soul-Song „Thank U, Next“ steht die 25-Jährige seit Wochen an der Spitze in Großbritannien und den USA.

Bei Google war „Avicii“ der zweithäufigste Begriff des Jahres

Die Musik-Toten des Jahres schockieren fast durchweg, allen voran Dolores O’Riordan von den Cranberries, Daniel Küblböck und Avicii. Die bittere BBC-Doku „Avicii: True Stories“ vermittelt eine Ahnung davon, wie sehr Stress und Hektik des Showbusiness diesen introvertierten Superstar-DJ, der eigentlich Tim Bergling hieß und sich mit 28 Jahren in Oman das Leben nahm, erdrückten. Bei Google war „Avicii“ der zweithäufigste Begriff des Jahres. Nur nach der Fußball-WM wurde noch öfter gesucht, auch wenn das Turnier aus deutscher Sicht – abgesehen vom Fanta Vier/ Clueso-Partyhit „Zusammen“ – ja Grütze war.

Ungleich erfreulicher: Michael Schultes sensationeller vierter Platz beim ESC mit „You Let Me Walk Alone“ und der patente Ben Zucker, der mit „Na Und?!“ jene Lücke zwischen Schlager und Rock schließt, von der man bisher nicht wusste, das sie existiert, sowie der ungebremste Aufstieg der beide aus dem Kosovo stammenden Popgirls Rita Ora und Dua Lipa. Und dass der Rock’n’Roll gar nicht so uncool ist, wie behauptet wird, beweisen die jugendlich forschen Greta Van Fleet und Tash Sultana.

Das nächste dicke Ding? Die Rückkehr der Neunziger. Eurodance wird – warum, weiß der Himmel – wieder salonfähig, die Spice Girls touren nächstes Jahr, Take That und die Backstreet Boys ebenfalls. Ach, und Blümchen ist auch wieder da.