Dortmund. Ein Abend der gemischten Gefühle: In Dortmund zeigte sich Bratschist Antoine Tamestit auf dem Gipfel seiner Kunst, Teodor Currentzis nicht nur.
Den Anfang macht die Bratsche: Phrasen-Bruchstücke, Trümmer von Kadenzformeln. Dunkles Streichermelos kommt hinzu, bis sich die Musik zum ersten Mal entlädt. Wie ein Schrei fährt das Orchester dazwischen, Glockenklang schmerzt, das Blech raunzt. Später wird das Soloinstrument, in Alfred Schnittkes Bratschenkonzert, in wilden Figurationen dahinhetzen, schroff sind die Einwürfe des Orchesters, Marschgrotesken wechseln mit bittersüßem Walzerton.
Auf Augenhöhe mit dem Orchester
Im Dortmunder Konzerthaus geben sich der fabelhafte Bratschist Antoine Tamestit und das SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis der düsteren Stimmung und den gleißenden Ausbrüchen mit ganzer Seele hin. Illustrieren beängstigend genau die Jagd durchs Leben bis zur Todesschwelle, wie Schnittke selbst sein Werk beschrieb.
Tamestit ist eine Klasse für sich. Mit nie erlahmender Intensität geht er zu Werke, dazu mit stupender Virtuosität. Sein expressiver Bratschenton ist stets präsent, mal melancholisch, mal harsch und aufwühlend. Dialogisches gestaltet er auf Augenhöhe mit dem Orchester, das überwältigend bebt, stampft und raunt.
Teodor Currentzis, dessen exaltierte Körpersprache bisweilen unfreiwillig komisch wirkt, spornt die Musiker zu Höchstleistungen an. Bei Schnittke hat es Wucht, in der 5. Sinfonie von Tschaikowsky kippt die Dramatik mitunter in den Effekt. Currentzis wandelt auf schmalem Grat zwischen Schicksalsschwere und plakativer Anmutung. Sein drastisches Musikalisieren von Seelenzuständen bewirkt mal aufgewühlte Teilnahme, mal skeptische Distanz. Tschaikowkys „Durch Nacht zum Licht“-Musik wird mit Leidenschaft interpretiert, manche Sequenzen aber bleiben seltsam gesichtslos. Ein Wechselbad, aus dem sich das Publikum mit heftigem Applaus befreit.