Essen. . Von Männern und ihren Panzern: Der in Duisburg geborene Autor Sascha Reh blickt in seinem Roman „Aurora“ auf die Sorgen und Nöte heutiger Männer.
Ein künftiger Vater, der sich seiner Vaterschaft noch nicht einmal sicher sein darf, sucht für seine schwangere Frau eine Bleibe – aber sobald der Sohn das Sternenlicht der Welt erblickt hat, wird er auch schon zum Messias und somit zum weltgeschichtlichen Allgemeingut. Aus der Traum von Vater-Sohn-Tagen beim Wüsten-Survivalcamp, aus der Traum vom „Josef & Sohn“-Schild an der Zimmermannswerkstatt. Zwischen den Zeilen erzählt die Weihnachtsgeschichte ja auch vom Drama des modernen Mannes, vom fragilen Vaterglück, vom Gefühl, immer nur innerfamiliärer Mitläufer zu sein – wenn überhaupt.
Der Schriftsteller Sascha Reh, 1974 in Duisburg geboren und 2015 mit dem Literaturpreis Ruhr geehrt, spürt im neuen Roman „Aurora“ im Kern diesen unerzählten Teilen der Weihnachtsgeschichte nach – in einem Setting, das schräger und skurriler kaum sein könnte. Den abgehalfterten Kopenhagener Reporter Ole verschlägt es kurz vor Heiligabend auf die hoffnungslos eingeschneite Insel Bornholm: Eine schöne menschelnde Geschichte wird erwartet. Ole gerät an den Soldaten Eric, der offenbar den Auftrag hat, mit seinem Panzer eine Hebamme zu einer Hochschwangeren zu bringen. Und wittert seine Story.
Ein Hoffnungsstreifen am Horizont
Die Hebamme Tamara aber scheint Eric verdächtig gut zu kennen, und während der Panzer durch den Schneesturm rollt, offenbart sich die Absurdität dieser Mission, schmelzen im Innern die coolen Fassaden der Insassen zu peinlichen Pfützen. Raubein Ole – nervig, überheblich, aufdringlich – setzt noch immer die gescheiterte Ehe und die Enttäuschung über seinen autistischen Sohn zu, „der ihn nicht lieben konnte – jedenfalls nicht so, wie Ole geliebt werden wollte.“ Das verrät er in einem selten schwachen Moment Tamara, die Ole im Gegenzug nicht verrät, wie sehr sie leidet, weil ihr Mann keine Kinder zeugen kann – und dass sie durchaus weiß, dass die Schwangere namens „Aurora“, zu der Eric angeblich unterwegs ist, gar nicht existiert. (Aurora borealis, das Nordlicht, werden die drei später als Hoffnungsstreifen am Horizont erleben.)
Eric wiederum, von Ole nur „der Simpel“ genannt, hat den Panzer geklaut, weil er sich betrogen sieht: um ein besseres, glänzenderes Leben, um seine Vaterschaft, um seine Träume. Überspitzt, hart an der Grenze zum Überdrehten, lässt Sascha Reh den Weihnachtsabend hübsch ausklingen bei einem Künstlerinnen-Kollektiv, das unwillig bemerken muss, „dass es eben doch auch noch Männer auf der Welt gab, auch wenn das lästig war.“
Rasante Story voller Slapstick und Komik
Mit „Aurora“ gelingt Sascha Reh das schier Unmögliche: Mit leichter Hand den Blick zu lenken auf die Sorgen und Nöte heutiger Männer, auf ihre hilflosen, panzergleichen Selbstbehauptungsversuche, auf ihr Scheitern und ihre inneren Vereisungen – und dies so fein verpackt in eine atemberaubend rasante Story voller Slapstick und Komik, dass niemals der Verdacht aufkommt, es könnte hier um Ab- und Aufrechnungen zwischen den Geschlechtern gehen. Bornholm mag fern sein, Rehs Figuren aber sind uns sehr nah. Und am Ende wird Ole sogar seine menschelnde Story im Block haben – sowie reichlich Zusatz-Stoff zum Nachdenken.
Sascha Reh: Aurora. Schöffling, 200 Seiten, 20 Euro.