Düsseldorf. . Zwischen #MeToo-Debatte und politischer Vetternwirtschaft: Das Düsseldorfer Schauspiel zeigt Kleists „Zerbrochnen Krug“ in der Ursprungsfassung.
Im Haus des Dorfrichters liegt einiges im Argen. Die Elektrizität macht Zicken, ständig geht das Licht aus. Prozessakten liegen im Kühlschrank zwischen Wein und Würsten. Und der Herr des Hauses! Blutig und zerschunden sieht er aus, derangiert bis auf die Unterhose. „Jeder trägt den leid’gen Stein zum Anstoß in sich selbst“, hat er in der Nacht zuvor einmal mehr erfahren. Und es kommt schlimmer. Vor den Augen der Obrigkeit muss er einen Prozess gegen sich selber führen.
Und so könnte es heiter weitergehen mit der Leichtigkeit des „Zerbrochnen Kruges“. Doch an diesem Abend läuft alles anders. Regisseurin Laura Linnenbaum hat Kleist für das Schauspielhaus entstaubt und zwischen #MeToo-Debatte und politischer Vetternwirtschaft platziert. Und: Die Sache funktioniert.
Vom Schenkelklopfer zum Missbrauchsdrama
Trick- und einfallsreich ist Linnenbaum vorgegangen. Und mutig, als sie sich für die selten gespielte, ursprüngliche Version des Stücks entschied. Kleist selbst kürzte es nach verpatzter Premiere rigoros, um den „Krug“ gefälliger, mundgerechter zu machen. Bis heute macht die Regie gern Schluss bei Adams Flucht. Linnenbaum aber wählte die alte Fassung. Mit der Schilderung der jungen Eve über die Tatnacht kippt die Handlung, gibt frei, was in ihr steckt. Die tragische Geschichte einer mutmaßlichen Vergewaltigung. Der jungen Cennet Rüya Voß beschert dieser Zugriff am Ende einen verstörend intensiven Auftritt. Sie ist es, die das Ruder herumreißt, vom Schenkelklopfer zum Missbrauchsdrama.
Bis dahin plätschert der Abend vor sich hin. Tatort: das Dorf Huisum, hier ein Raum, der aussieht, als sei er mit Marmor getäfelt. Im Mittelpunkt steht der Richter, der zum Täter wird, als er nachts ins Zimmer der jungen Eve schleicht. Was genau geschieht, bleibt unklar – bei der Flucht vor ihrem Verlobten kassiert er Kopfwunden und zerbricht den Krug ihrer Mutter. Nun steht die Sache vor Gericht.
Schlitzohr mit Plastiktüte um den Klumpfuß
Andreas Grothgar überzeugt als menschlicher Adam, ein nervöses Schlitzohr mit Plastiktüte um den Klumpfuß, das vor Aufregung richtig fiepsig wird. Trotzdem schimmern sie durch, der Lüstling und der Teufel. Ihm zur Seite steht der wieselige Schreiber Licht (Rainer Philippi), der gern seinen Job hätte. Angeklagt ist Eves Verlobter Ruprecht (Stefan Gorski). Ihm würde Adam die Tat gern in die Schuhe schieben. Michaela Steiger giert als Marthe Rull wutschnaubend nach Gerechtigkeit – den Krug zeigt sie dem Gericht via Handy. Markus Danzeisen schließlich ist Frau Brigitte, hier eine Transen-Slapstick-Nummer.
Eve als Opfer sexueller Gewalt
Die krasseste Wandlung erfährt Gerichtsrat Walter (Florian Lange), der bald nicht mehr auf Ordnung pocht, sondern sich weinselig abfüllen lässt. Als Eve dann erzählt, wie alles war, dass es beim nächtlichen Besuch um ein Attest ging, das Ruprecht vom tödlichen Militäreinsatz befreien sollte und für das sie zum Opfer sexueller Gewalt wurde, fällt auch der Gerichtsrat über sie her. Am Ende liegt die junge Frau am Boden, Adam kehrt im feinen Zwirn zurück. Vermutlich wird er jetzt befördert. Zum Teufel mit der Leichtigkeit. Eine grausame Welt ist das.
Weitere Infos, Aufführungstermine und Tickets auf den Seiten des Düsseldorfer Schauspielhaus.