Dortmund. Dortmunds Ballettchef Xin Peng Wang bringt in den kommenden drei Spielzeiten die „Göttliche Komödie“ auf die Bühne. Vielversprechender Auftakt

„Die Göttliche Komödie“ von Dante Alighieri auf der Tanzbühne? Geht das, ohne dem Kitsch und Klischee zu verfallen? Xin Peng Wang, Spezialist in Sachen Literatur-Ballett, wagt sich daran, in einem Groß-Projekt mit seinem Dortmunder Kompagnie, einigen Gast-Solisten und dem von ihm begründeten NRW-Junior-Ballett. Hölle, Fegefeuer und Paradies: In drei Spielzeiten werden die Zuschauer die drei Stationen durchschreiten, die der italienische Dichter Anfang des 14. Jahrhunderts in seinem Menschheits-Epos vorführte. Und Maler der Renaissance (wie Hieronymus Bosch) zu Gemälden beflügelte, die sich ins abendländische Kultur-Gedächtnis eingebrannt haben.

Besonders im „Inferno“ – dem ersten Teil, mit dem die Commedia Divina jetzt im vollbesetzten Dortmunder Opernhaus begann – lässt Wang verschlungene Körperbilder entstehen. Teilweise blutbeschmiert, bronziert und in durchsichtigen, aber bemalten Ganzkörpertrikots verdrehen und verschrauben sie sich (Kostüme: Bernd Skodzig). Sie weisen Ähnlichkeiten mit Hieronymus Boschs „Inferno“-Vorstellungen auf, zumal ein Rotlicht-Streifen (Lichtdesign: Carlo Cerri) das höllische Gewimmel von unten beleuchtet.

Am Ende gibt’s einen lautstarken Knall

Das einzige Requisit im düsteren Raum (Bühne: Frank Fellmann) ist das Fragment einer hölzernen Raumkapsel, die an den Läuterungsberg in einem anderen Bosch-Gemälde (Himmel und Hölle) erinnert. In diese Kapsel hinein - die in pausenlosen 75 Minuten immer mal wieder erscheint - drängen die Figuren im „Inferno“, wollen die Reinigung von ihren Sünden. Am Ende: ein lautstarker Knall, und ab durch die Mitte geht’s, vermutlich ins Purgatorium, das Dortmunds Ballettchef Wang in der nächsten Saison herausbringen wird. Man darf gespannt sein.

Im Vordergrund agieren Dante, der sich als Geknechteter allmählich von einem klirrenden Eisenketten-Vorhang befreit, seine geliebte Beatrice (sie starb sehr früh und trifft Dante in der Hölle) und der römische Dichter Vergil, der Dante durch die Kreise der Hölle führt. Erste Ballett-Garde ist hier zu erleben: Als Lichtgestalten in Weiß eilen Javier Cacheiro Alemán (Dante) und Lucia Lacarra (Beatrice), kämpfen gegen quälende Geister, faszinieren in schwerelosen Pas-de-deux, in denen die grazile Primaballerina Lacarra wie ein Wesen aus einer Welt erscheint, in der die Regeln der Schwerkraft außer Kraft gesetzt sind.

Neben dem geschmeidigen Danseur Noble Alemán, der als Irrfahrer Dante durch die Hölle rast und durch die gute Fee Beatrice zur Ruhe kommt, überzeugt Dustin True als elegant verführerischer Vergil: Mal als Freund, mal als Mephisto betört er durch neoklassische Perfektion. Das Porträt des unnachgiebigen Gewaltmenschen Charon (er soll die bösen Seelen über den Acheron rudern) zeichnet Cyrill Pierre. Ein Ausdruckstänzer voller Saft und Strahlkraft, früher Star des Bayerischen Staatsballetts, neuerdings auch Ballettmeister in Dortmund.

Suggestive Klangkulisse aus Minimalmusic und Cello-Melodien

Der Clou des Höllenritts ist die Musik von Michael Gordon und Kate Moore (vom Band): Schrunden, Dröhnen, Klirren und Reiben, Sirenenheulen und leichtes Hämmern. Die suggestive Klangkulisse bietet eine Mischung aus surrender Minimalmusic und neoromantischen Cello-Melodien. Ein Sound entsteht, der in Trance versetzt, dann wieder nervöse Spannungen aufbaut.

Wangs Ballett Dortmund zeigt sich mit dem bejubelten ersten Dante-Abend auf der Höhe der Zeit. Es besticht durch die Tänzer, deren Zahl sich in kommenden Jahren dank geschickten Managements und Finanzspritzen (auch des Landes) noch erhöhen wird.