Gelsenkirchen. . „Was willst Du denn da?“, wurde Michael Schulz von Kollegen gefragt, als er 2008 seinen Job in Gelsenkirchen antrat. Er ließ sich nicht beirren.
Ältere kennen ihn noch als Jungregisseur am Aalto-Theater. Und plötzlich haben wir es bei Michael Schulz (51) mit dem dienstältesten Opernintendanten der Region zu tun. Seit zehn Jahren leitet er Gelsenkirchens Musiktheater im Revier. Lars von der Gönna traf ihn zum Gespräch.
Sie sind das vermeintlich „kleine“ Opernhaus des Ruhrgebiets. Erleben Sie das als eine Stärke?
Dieses Haus genießt einen dreifachen Sonderstatus. Es ist das unfassbar schöne Gebäude in einer Stadt, die mancher ja „schwierig“ nennt. Es ist aber auch ein relativ niedriger Etat für unsere zwei Bühnen – großes Haus, kleines Haus –, mit dem man es ästhetisch und inhaltlich mit Leben füllen muss. Und: Gerade hier muss man immer unter Beweis stellen, wie sinnvoll es ist, dass eine Stadt für uns Geld ausgibt. Das ist die Aufgabe.
Ich war 2008 so frei, ihren Start ein wenig glücklos zu nennen. Das ist längst Geschichte, Ihr Haus läuft richtig gut. Über 80 % Auslastung, letzte Saison 120.000 Besucher.
Vielleicht hätte ich Ihnen damals nicht einmal widersprochen. Man braucht wirklich Zeit, um in einer Stadt zu „landen“, um zu sehen, was hier ankommt, aber auch, wovon man Abschied nehmen muss. Von den ersten fünf Vertragsjahren waren drei auch Lehrjahre!
Sie kannten das Ruhrgebiet...
Ja, und nicht nur durch meine Zeit als Spielleiter am Aalto-Theater. Mein Großvater war Essener und Bergbauingenieur. Aber ich wusste auch: Gelsenkirchen, da wollte man nicht unbedingt hin. „Was willst du denn da?“, haben mich Kollegen 2008 gefragt. Ich spürte Trotz: ein „Jetzt erst recht!“. Eine Stadt, in der die Oper kein ferner Kunsttempel ist, das reizte mich.
Erinnern Sie sich an eine erste Begegnung mit „Schalke“?
Und ob! Da war ich hier noch Gastregisseur. Schalke hatte mal wieder ein entscheidendes Spiel verloren, ich trat auf die Straße und spürte, wie eine ganze Stadt in kollektiver Depression lag. Das hat mir auch gezeigt, wie sehr diese Stadt etwas braucht, das Bedeutung hat – über die Grenzen hinaus.
Wie kommen Sie als Niedersachse mit den Menschen hier klar?
Die sind sofort „da“, ohne Distanz, dazu der immense Humor und eine große Selbstironie. An die habe ich oft gedacht, wenn wir Dinge entwickeln. Aber natürlich spiegelt ein Theater auch gesellschaftliche Fragen über die Stadt hinaus: „Was ist wichtig, was brauchen wir auf der Bühne?“.
Gelsenkirchen hat ein treues Publikum, aber das Verhalten ändert sich auch hier. Wie erleben Sie das?
Das Angebot, sich zu unterhalten, Freizeit zu verbringen, ist in den letzten 25 Jahren explodiert. Wenn ich in der WAZ den Terminkalender fürs Wochenende lese und sehe, was mich alles interessieren würde, muss ich mir klar machen, was ich real davon „schaffe“.
Gleicher Kuchen, kleinere Stücke?
Wir sind nicht mehr ausschließlich „der“ Ort der Erbauung und Unterhaltung, sondern einer von vielen. Außerdem führt unser Leben heute dazu, dass Menschen sich vom Alltag so überfordert fühlen, dass sie abends nicht unbedingt Lust haben, sich mit anspruchsvollen Inhalten zu beschäftigen. Und es kommt noch etwas dazu: Ein Gemeinschaftserlebnis, wie es Theater bietet, findet bei manchen Menschen heute vor dem Rechner statt. Dabei wäre es am einfachsten, ins MiR zu kommen. Vielseitigkeit findet man hier jeden Abend: der Ort, das Programm, viel Vergnügen.
Täusche ich mich darin, dass Sie sich sehr gut überlegen, was Sie Zuschauern im „MiR“ zeigen? Es gibt keine „Kotztüten-Ästhetik“...
Sie täuschen sich nicht. Tabu-Brüche im Theater gibt es ja nicht mehr, die haben alle längst stattgefunden. Bestimmte Schmerzgrenzen zu überschreiten, interessiert mich nicht besonders.
Beschreiben Sie Ihren Führungsstil.
Ich versuche, alle Menschen in diesem Haus wahrzunehmen. Aber natürlich muss man auch Entscheidungen treffen, die nicht jedem gefallen. Ich fälle gerne Entscheidungen und zu denen stehe ich auch.
Ihre Schwäche?
Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch und mag es nicht, wenn um den heißen Brei geredet wird. Das kann mich ärgerlich machen. Eine Mitarbeiterin vertritt die These „Man spürt im ganzen Haus, ob du gute Laune hast oder nicht“. (lacht)
Was empfinden Sie, wenn Sie durch jene Teile Gelsenkirchens fahren, die wirken, als habe der Strukturwandel sie vergessen?
Ich denk’ dann: In Kassel oder Pforzheim gibt es solche hübsch-hässlichen Ecken auch, aber in Gelsenkirchen nehmen wir das irgendwie stärker war. Was tun? Wenn ich Geld hätte: Aufmöbeln! Wenn ich durch solche Straßen fahre, habe ich ganz einfach den Wunsch, da Farbe reinzubringen, ein paar Bausünden wegzufegen, es den Menschen schöner zu machen...
Würde das helfen, Herr Schulz?
Ich kann meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass das eine echte Veränderung bringt. Aber ich glaube daran, nie aufzuhören, an die Möglichkeit der Veränderung zu glauben.