Dortmund. . Schweres Korsett für die Sänger: In Dortmunds „Barbier von Sevilla“ müssen die Sänger wie Marionetten agieren. Sonntag war Premiere.

Der Regisseur als Entfesselungskünstler: Er lässt das Personal der guten alten Commedia dell’arte von der Kette. Dafür zahlt Martin Bergers Dortmunder Inszenierung des „Barbier von Sevilla“ einen hohen Preis. Es vergeht mit anderthalb Stunden nervtötend viel Zeit, bis den Sängern die Marionettenfäden gekappt werden.

Bis dahin hampelt das Ensemble – an Stricke gekettet und damit nach ein paar Minuten unverschuldet in steter Wiederholung seines Bewegungsrepertoires – sich durch Rossinis berühmteste Oper.

Dortmunds „Barbier“ nimmt die Figuren wortwörtlich ins Fadenkreuz - auf die Dauer nervt das einfach nur

Das ist der schon oft erlebte Versuch, einer großen Konzept-Idee Wohl und Wehe eines ganzen Opernabends unterzuordnen. Dazu zählt auch das Diktat, den Puppen (heiratswilliger Graf, listiger Barbier, keckes Mündel Rosina, tumber Onkel Bartolo) weitgehend die Chance zum szenischen Clinch zu nehmen: Ein erzählender Puppenspieler macht den Opernführer: So charmant Hannes Brock jenen Gepetto gibt, dessen Holzbengelchen sich dreist emanzipieren, so schwergängig ist die bemühte Konstruktion Bergers. Der Mann geht dabei nicht zimperlich vor, nicht nur durch Striche. Klopft bei Rossini die „forza“ an, Chaos und Liebes-Intrige zu sortieren, ist es in Dortmund die „öffentliche Meinung“: der Opernchor im Gegenwartskostüm. Erst fällt der Faden, dann fehlt der Halt. Plötzlich — davon erzählt Berger im jetzt zur Ruine zusammengefallenen Puppentheater (Bühne: Sarah-Katharina Karl) ambitioniert – müssen sich die Wesen ohne Fernsteuerung durchs Leben schlagen. Und da wollen sie der Schönsten nicht mal mehr ein „Ja“ zurufen. Wohin das führt? Zum Glück, das in gewebten Ketten liegt: Ein Happy End nämlich gelingt in Dortmunds „Barbier“ erst, als sie alle wieder demütig aufs Fadentheaterchen hochkrabbeln.

Jubel für musikalische Akteure, vor allem Dortmunds Philharmoniker unter Motonori Kobayashi

Welche Lehre man aus dieser inszenatorischen Anstrengung auch ziehen mag: Es ist dieser Abend kein großer Wurf, trotz komischer Meriten. Rosina etwa, ein Mädchen, das sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt, wird in der Dortmunder Puppenkiste mit Theatertricks zur keifenden Riesennatter. Zu anderen Scherzen (eine Kasperl-Pritsche wird Senioren-Penis) können wir im Jahre 2018 freilich nur noch herzliches Beileid wünschen.

Musikalisch gab es, wenn nicht arg klappernde Umbauten dazwischenfunkten, gab es mehr zu feiern. Zwei ganz große Begabungen stellten sich vor. Sunnyboy Dladla (Graf) ist ein schlanker, edel in die Höhe emporschnellender Rossini-Tenor aus dem Bilderbuch. Mit Aytaj Shikhalizadas Rosina besitzt Dortmund das rare Glück eines extrem koloraturfähigen Mezzosoprans – dazu der bronzene Schimmer ihres sinnlichen Timbres: zauberhaft. Petr Sokolovs Barbier-Bariton hat herrliche Farben, doch für einen vokalen Strippenzieher erster Güte klingt die Stimme verhangen, fast zu klein. Andere Besetzungen wie Denis Velevs matter Basilio sind nur unter der Rubrik Prinzip Hoffnung nachvollziehbar. Es gab viel Beifall, besonders starken für Motonori Kobayashi am Pult der Dortmunder Philharmoniker. Deren Leistung erinnert an Abbados weise Rossini-Sentenz, diese Musik lasse „einen alle Traurigkeit der Welt vergessen“, wozu man eventuell auch naseweise Regieversuche zählen darf.