Essen. . Von Katzen und Generälen, starken Frauen und Helden im Raubtierfell: Eine fiktionale Reise durch das Gastland der Frankfurter Buchmesse
Als Nino Haratischwili das erste Mal mit einer Freundin aus Deutschland nach Georgien reiste, hoffte sie ihrem stets heimatkritischen Selbst zum Trotz, dass die Freundin „das Land, die Stadt, die Menschen, die mir teuer waren, von der besten Seite kennenlernte“. Ein Paradox? Das zweite folgte sogleich: Nicht nur die Freundin lernte ein neues Land kennen, so schreibt Haratischwili – sondern auch sie selbst: „Indem ich versuchte, ihren Blick zu formen, veränderte sich meiner. Ich begriff etwas von dem eigenen erst durch die Perspektive des Fremden.“
Was Nino Haratischwili im Vorwort zu einem georgischen Reise-Buch beschreibt, ist womöglich die Ur-Erfahrung eines Schriftstellers: Erst die Distanz macht das Vertraute beschreibbar. Haratischwili wurde 1983 in Tiflis geboren und lebt seit 2003 in Hamburg, wo sie Theaterregie studierte und sich als Regisseurin, Dramatikerin und Autorin einen Namen machte. Ihr aktueller Roman „Die Katze und der General“ steht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Nachdem sie sich im viel gelobten Vorgänger, dem wuchtigen Epos „Das achte Leben (Für Brilka)“, mit der georgischen Geschichte und ihren Opfern auseinandergesetzt hat, reist sie nun zurück in den Ersten Tschetschenien-Krieg – und fragt nach den Tätern. Der Roman ist erneut seitenstark, scheint sich diesmal aber von der eigenen Schwere nicht lösen zu können – die bisherige leichte Ironie, die federnden Sprachbilder müssen wir missen.
Die eigene Schrift ist Unesco-Weltkulturerbe
Nino Haratischwili ist die in Deutschland bekannteste georgische Autorin, gewissermaßen Frontfrau des diesjährigen Gastland-Auftritts bei der Frankfurter Buchmesse: Das nur bayerngroße Vier-Millionen-Land zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer investiert immerhin sechs Millionen Euro in den Auftritt. Dieser ist zugleich eine Art Jubiläumsfeier: Vor 100 Jahren, am 26. Mai 1918, erklärte sich Georgien zur unabhängigen demokratischen Republik. Dass die Unabhängigkeit 1921 erstmal wieder vorbei war und siebzig Jahre sowjewtischer Herrschaft folgten, prägt die Literatur bis heute. Da kann der Gastland-Slogan „Made by Characters“ noch so sehr auf die jahrhundertealte eigene Schrift (ein Unesco-Welterbe!), auf National-Epen und orientalische Erzähltraditionen verweisen.
Das in Georgien meistgelesene Buch, Guram Dotschanaschwilis Roman „Das erste Gewand“ von 1978 (jetzt erstmals übersetzt), erzählt zwar mit den Mitteln der Phantastik und doch unverhohlen von der Fremdherrschaft, die trotzig überwunden wird. Milch, die nach Blut schmeckt, ist nur eines der skurrilen Bilder für die diktatorisch vorgegaukelte Glückskulisse.
„Reise nach Karabach“: Popliteratur auf Georgisch
Als diese Kulisse im realen Leben zusammenbricht, befreit dies auch die Künste. Aka Morchiladzes Road-Novel „Reise nach Karabach“ kündet von einem Aufbruch, der sich auch gegen die überkommenen Moralvorstellungen der Elterngeneration richtet. Der Roman stammt von 1992, seine schnoddrige Sprache („In Tbilissi war Bürgerkrieg oder so was“) machte ihn zum Kultbuch: Popliteratur auf Georgisch.
Nach Freiheit sehnt sich auch Lela, die im Internat für behinderte Kinder lebt. Über „Das Birnenfeld“ sollen ihre Schützlinge laufen, nachdem sie den Geschichtslehrer umgebracht haben: Symbolkräftig und dennoch mitten aus dem Leben schreibt die in Berlin lebende Autorin und Filmemacherin Nana Ekvtimishvili über jene wilden 90er Jahre, in denen Georgiens Frauen (und Mädchen) gegen eine patriarchalische Gesellschaft rebellierten. „Als alles zusammengebrochen ist, waren es die Frauen, die die Familien erhalten haben“, erzählte sie jüngst in einem Interview: „Die Männer waren diejenigen, die sich verloren haben.“
„Wie viele Denkmäler es in dieser Stadt gibt“
Womöglich kann man Davit Gabunias Roman „Farben der Nacht“ lesen als Folge dieser Geschlechterverschiebung: Surab, Hausmann aus Arbeitslosigkeit, verbringt den Sommer rauchend auf dem Balkon, während Ehefrau Tina abends immer später heimkommt. Gabunia, Jahrgang 1982, erzählt von Verhängnis und Affäre und Mord, von Demonstrationen und dem Sturz der Regierung im Sommer 2012. So gegenwärtig leuchtet jeder Moment, dass hier tatsächlich Georgien die Vergangenheit abzustreifen scheint, mit einer einzigen lakonischen Feststellung: „Wie viele Denkmäler es in dieser Stadt gibt.“
Nino Haratischwili: Die Katze und der General. Frankfurter Verlagsanstalt, 750 S., 30 €. Im selben Verlag, mit Vorwort von Haratischwili: Georgien – Eine literarische Reise. 220 S., 25 €.
Guram Dotschanaschwili: Das erste Gewand. Hanser, 696 S., 32 €. Aka Morchiladze: Reise nach Karabach. Weidle, 176 S., 20 €. Nana Ekvtimishvili: Das Birnenfeld. Suhrkamp, 221 S., 16,95 €. Davit Gabunia: Farben der Nacht. Rowohlt, 192 S., 20 €