Vor zehn Jahren nahm Schriftsteller David Foster Wallace sich das Leben. Seine Essays zeigen ihn einmal mehr als brillanten Erzähler.

Eine einzige offizielle Rede hat David Foster Wallace neben der Lehre vor Studenten gehalten. Es ist ein selten präzises und lebensweises Dokument, mit dem er im Jahr 2005 einen Abschlussjahrgang des Kenyon College ins Leben danach entließ. Von den Grabenkämpfen des Erwachsenenlebens sprach er und von der Neigung zur Überinterpretation, die akademische Ausbildungen zwangsläufig erzeugen. Nun müsse es darum gehen, im Alltagstrott zu bestehen und dennoch das Erworbene wachzuhalten. Es ist knifflig, ein gesellschaftliches Wesen zu werden und zu bleiben, könnte ein Fazit seiner Ermutigung lauten. Ein anderes: „Die Wahrheit … dreht sich um die Frage, wie man dreißig oder sogar fünfzig Jahre alt wird, ohne sich die Kugel zu geben.“ David Foster Wallace hat es nicht geschafft. Im September 2008 hat sich der genialische und wohl wichtigste amerikanische Autor seiner Generation 46-jährig in Kalifornien umgebracht.

Ein geradezu manischer Schreibzwang

Sein Leben war geprägt von Alkoholismus, Panikattacken, Drogensucht und mit Medikamenten eingedämmter Depression, aber auch von geradezu manischem Schreibzwang. Stets in der Nähe zum Abgrund schrieb er mit dem weit mäandernden Roman „Unendlicher Spaß“ ein höchst lesenswertes, gleichermaßen amüsantes wie todtrauriges Meisterwerk der Postmoderne, einen furiosen Abgesang darauf, wie wir uns sportlich, medial und sonst wie noch zu Tode amüsieren. In vergleichbarer Opulenz folgte postum der aus dem Nachlass zusammengesetzte Roman „Der bleiche König“, ein wie ein Kaleidoskop irrlichternder Geniestreich über die neuen Helden des Westens, die in den Behörden vorm Schlund der Ablagesysteme hocken, pflichtbewusst gelangweilt in seelenmordenden Achtstundentagen.

Auf über tausend eng gesetzten Dünndruckseiten hat nun Ulrich Blumenbach, dessen brillanten Übertragungen wir die Bekanntheit des DFW im deutschen Sprachraum überhaupt erst verdanken, sämtliche Essays dieses Jahrhundertautors zusammengestellt und chronologisch nach sechs Themenschwerpunkten geordnet. Entstanden ist ein Buch, in dem man sich immer wieder und immer neu festlesen sollte, ein ausuferndes Dokument, das darüber Auskunft gibt, wie sich einer über die Welt hermachte. Ein „Hirnschrittmacher“, ein Hineingeher in die amerikanische Welt, die unsere ist, auch und besonders in ihren Verirrungen und Abartigkeiten. Dieser Autor geht dorthin, wo es wehtut, und protokolliert dann messerscharf, wobei er sein „theoretisches Aquaplaning“ virtuos beherrscht. Ist es ansonsten üblich, in belletristischen Annäherungen ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es sein könnte, reibt man sich bei David Foster Wallace während und nach der Lektüre die Augen und denkt: Ach, so ist das! Wegen seines enzyklopädischen Wissens erreicht er das und weil er es während des Vor-Ort-Seins schärft und vertieft mit bohrender, insistierender, sich fremden Welten aussetzender Energie, Wissensgier und Formuliereuphorie zwischen Komik, Tragik und der ihn nie verlassenden Traurigkeit des Erwachsenen.

„Eine Kompetenzgranate mit Dauerzündung“

Als Journalist war er „berühmt und berüchtigt“, wie Ulrich Blumenbach in seinem klugen Vorwort schreibt. „Wallace war eine Kompetenzgranate mit Dauerzündung, die unterhalten, aber nie unterfordern wollte“. Nur konnte er die redaktionellen Längenvorgaben nie einhalten und überschritt sie um ein Vielfaches, inklusive seiner wuchernden Fußnoten, die im Lesenswerten mitunter das Lesenswerteste sind, weil er spaßvoll mit ihnen als Stilmittel jongliert, wobei er sie ihrerseits gelegentlich um weitere Fußnoten ergänzt. So schreibt er kaskadenhaft über seine Leidenschaft fürs Tennis und wie ihm als Spieler seine mathematischen Kenntnisse gegen Bessere zum Sieg verhalfen, über eine Agrarmesse, über seine Achtung vorm konservativen Politiker John McCain, über David Lynch oder den „Robofaschismus“ des Terminators Arnold Schwarzenegger, über eine betäubend lange Awardverleihung der Pornobranche zu Las Vegas in tatsächlich 104 Kategorien, über das Maine Lobster Festival 2003, wo 25 000 Pfund lebend in den Kochtopf gegebener Tiere – Topfwändekratzen und Deckelstemmen inclusive – über den Tresen gehen.

„Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“

„Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“, könnte über dem allen stehen. Es ist der Titel von Wallace‘ wohl bekanntester Reportage, zu deren Erstellung er im März 1995 sieben Tage eine Karibikkreuzfahrt durchlitt und im Ergebnis wie stets nach penibelstem Hinsehen die Literaturfähigkeit des Alltäglichen nachwies.

In einem Text über seine Autorengeneration findet Wallace zum Wir und spricht vom Schlüsselerlebnis der nach 1955 Geborenen: dem permanenten Verbringen der Zeit mit dem Starren in mehr oder weniger kleine Bildschirme. Er hielt dagegen, lehnte es ab, sich hinter Ironie zu verschanzen, ging hinaus an die Orte und wollte herausfinden, „warum Amerikaner ticken, wie sie ticken“. Von den neuen Medien kann man sich aufputschen lassen, während man ausruht, Entertainer können im besten Fall sogar trösten, doch „transzendieren können nur Künstler“. Noch ein Grund, David Foster Wallace zu lesen.

David Foster Wallace: Der Spaß an der Sache. Alle Essays. Hg. von Ulrich Blumenbach. Aus dem amer. Englisch von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingendaay. Kiepenheuer & Witsch. 1086 Seiten. 36 Euro