Bochum. . Ratgeber helfen, das Leben zu optimieren. Wie absurd viele Ratschläge sind, zeigt Poetry-Slammer Sebastian 23 in seinem Buch „Endlich erfolglos“.
Es geht immer noch besser: Die Wohnung kann schöner, der Körper gestählter, das Auftreten selbstbewusster und die Liebe intensiver sein. Wir müssen nur wollen! Wie es geht, zeigen uns Hunderte von Ratgebern. Sebastian Rabsahl (39), besser bekannt als Sebastian 23 aus Bochum, hat sich durch einige dieser Titel durchgearbeitet und Absurdes zusammengetragen. Maren Schürmann sprach mit dem Philosophen und Poetry-Slammer über sein neues Buch „Endlich erfolglos! – Ein schlechter Ratgeber“. Darin gibt auch er mit viel Humor Ratschläge. Allerdings nicht für: besser, schneller, weiter. Sondern wie man den inneren Schweinehund umarmt. Ein Plädoyer für ein unperfektes Leben.
Wie beginne ich ein unperfektes Gespräch? Reden wir übers Wetter? Nicht mehr so warm, nicht wahr?
Sebastian 23: Das Wetter! Lustigerweise gibt es hunderte Ratgeber auf dem deutschsprachigen Buchmarkt, die uns erklären wollen, wie man gut Smalltalk führt. Wenn man aber in Reiseführer guckt, die den Leuten, die nach Deutschland reisen, erklären, wie man mit uns Deutschen umzugehen hat, steht überall drin: Die Deutschen hassen Smalltalk. Ich finde es sehr ironisch, dass wir es gar nicht mögen, aber trotzdem versuchen, besser darin zu werden. Vielleicht ist es das Beste, einfach überhaupt nicht mehr miteinander zu reden. Ist für ein Interview schwierig, aber es würde vielen Leuten in ihrer alltäglichen Kommunikation weiterhelfen.
Sie haben sich durch viele Ratgeber gelesen, welche fanden Sie besonders absurd?
Ich bin über ein Buch mit dem Titel gestolpert: „Mit Ratgeber-E-Books im Internet Geld verdienen“. Und das Buch kam nicht als E-Book heraus, sondern als Taschenbuch. Genial. Oder: „Die 696 Sextipps“. 696! Das ist reichlich. Zum Thema Gärtnern gibt es auch sehr viele Ratgeber. Am meisten hat mich der Titel beeindruckt: „21 Pflanzenpersönlichkeiten erkennen“. Da dachte ich: Ja, das hilft mir weiter. Ich glaube, einen jähzornigen Gummibaum zu haben, der mich manchmal versucht zu schlagen.
Hat einer dieser Ratgeber den Ausschlag gegeben für Ihr Buch?
Mir ist die Flut an Ratgebern aufgefallen, die uns überschwemmt. Jedes siebte Buch in Deutschland ist ein Ratgeber, der Jahresumsatz liegt bei 1,3 Milliarden Euro. Und es gibt ja noch mehr als Bücher: Blogs, Podcasts, Lifehacks, Fitness-Apps und Zeitschriften voller Ratschläge, die uns alle erklären wollen, wie wir noch besser werden, wie wir uns selbst optimieren. Irgendwann habe ich dann gedacht: Das ist ein bisschen doll. Sind wir nicht alle im Ist-Zustand auch schon ganz gut, müssen wir uns selber immer als unvollständig und unperfekt wahrnehmen? So kam ich dann auf die Idee, einen Ratgeber zu schreiben, der sich dem entgegenstellt: Lasst uns das Gegenteil machen und ein schlechtes Leben führen.
Bei der Ernährung gelingt uns das ja bereits, oder?
Wir sind schon ziemlich gut in schlechter Ernährung. Wir leben in Städten, in denen das kulinarische Angebot zu weiten Teilen aus Fastfood oder Biosupermärkten besteht – die Extreme sind da. Mal wat Normales essen, ist schon gar nicht mehr drin. Entweder ist es unfassbar ungesund oder es ist unfassbar gesund. So ein Mittelweg, so eine normale Mahlzeit, die sich nicht dazu eignet, für Instagram fotografiert zu werden, ist schwierig heute.
Was wäre denn was Normales? Eine Roulade?
Eine Roulade, ja! Mal ne Kartoffel.
Haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie Pommes mit Mayo essen und nicht Goji-Beeren? Habe ich die jetzt richtig ausgesprochen?
Niemand weiß, wie man sie ausspricht. Niemand weiß, warum man sie essen soll. Warum machen es alle? Weil die Ratgeber empfehlen: Es ist Superfood! Es kann auch ruhrgebietsspezifischer sein. Hier in Bochum ist Pommes-Currywurst auch ganz klar Superfood mit spitzen Nährwerten. Wir sollten alle mindestens einmal pro Stunde Pommes mit Currywurst essen.
Zum Glück gibt es Tipps für die richtige Fitness, damit man die Ratschläge für die neue Mode beherzigen kann. . .
Bei Mode ist es ganz schwierig, schlechte Entscheidungen zu treffen. Denn vieles, was in Paris oder Mailand auf dem Laufsteg getragen wird, würde man auf den ersten Blick für sehr, sehr schlechte Kleidung halten. Ich schlage vor, dass man Dinge trägt, die als Kleidungsstücke völlig ungeeignet sind. Kabel zum Beispiel. Aber selbst da hat man schon viel gesehen, wenn man bedenkt, dass sich Lady Gaga vor einiger Zeit komplett in Schnitzel eingewickelt hat – wo wir wieder beim Thema Roulade wären.
Ich habe bei Ihrem Buch laut gelacht. So viel Ironie! Aber Sie sind auch ganz schön sauer, oder?
Zum Teil schon, besonders wenn es um medizinische Tipps geht. Da bin ich wütend geworden auf die Scharlatane, die versuchen, Leuten, die offensichtlich Hilfe brauchen, weil sie krank sind, teils schwer krank, sterbenskrank, das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das ist hanebüchen.
Es ist nachvollziehbar, warum Menschen in Not schneller zu solchen Büchern greifen. Aber woher kommt der Erfolg vieler anderer Titel? Können Sie sich erklären, warum das Bedürfnis danach so groß ist?
Die Leute bekommen von allen Seiten suggeriert, dass sie nicht gut sind so wie sie sind, weil man zum Beispiel auf Werbeplakaten und auf Hochglanzmagazinen die ganze Zeit photogeshopte Leute sieht. Es ist unmöglich so auszusehen. Und wenn man seine Instagram-Seite durchguckt, dann scheint der ganze Freundeskreis die ganze Zeit in einem perfekten Zustand der Glückseligkeit zu sein. Das ist natürlich eine Illusion. Aber es zeigt uns, dass wir noch perfekter sein könnten als wir sind. Und das führt dazu, dass wir es versuchen.
Sind Sie denn zufrieden mit sich?
Wenn Sie so fragen, dann scheint ja noch was zu gehen (lacht). Jugendliche würden sagen, ich bin ein klassisches Lauch. Aber das ist in Ordnung. Ja, ich bin zufrieden mit mir. Und ich bin weit weg davon, perfekt zu sein. Aber mir ist das sehr bewusst, dass ich das auch gar nicht sein muss und auch nicht sein kann. Wenn man versucht, die Perfektion zu erreichen, gerät man automatisch ins Unglück. Ich hoffe, dass die Leute durch die ganzen schlechten Ratschläge in meinem Buch die Absurdität der guten Ratschläge besser wahrnehmen lernen.
>>> Buch und Bühne: Endlich erfolglos
Das Cover zum Buch: „Endlich erfolglos! – Ein schlechter Ratgeber“. Foto: Sebastian 23 Das Buch „Endlich erfolglos! – Ein schlechter Ratgeber“ von Sebastian 23 erscheint am 20. September bei Benevento, 250 S., 16 €.
Das nächste Soloprogramm trägt den gleichen Titel. Termine in der Region: 18. Oktober, Bahnhof Langendreer, Bochum. 27. Oktober, Fritz-Henßler-Haus, Dortmund. 24. November, Zeche Carl, Essen. 8. Februar 2019, Ringlokschuppen, Mülheim. 9. Februar, Bollwerk 107, Moers. 14. März, Alter Schlachthof, Schwerte. 11. Mai, Kulturzentrum Pelmke, Hagen.
Mehr Infos unter sebastian23.org oder endlicherfolglos.de