Oberhausen. . Premierenpublikum feiert im Theater Oberhausen das junge Ensemble. Die Collage aus Songs und Szenen blickt aufs Leben mit den sozialen Medien.
Wie schön, ein umjubelter Spielzeit-Auftakt. Das Ensemble stürmte derart beglückt von links und rechts an den Bühnenrand, dass man für Sekunden bange sein könnte, ob sie sich wohl umrennen. Keine Bange, bei „Fake on me“ ist alles bestens choreographiert.
Yves Hinrichs hat für die erste Spielzeit-Premiere – eine Woche vor dem Oberhausener Theaterfest – 18 Jugendliche von 15 bis 24 Jahren zu einer Truppe zusammengeschmiedet, deren Spielfreude und Professionalität wohl jeden im Großen Haus staunen ließ: Standing Ovations für einen liebevoll-ironischen Blick auf Alltägliches.
Der kulturpessimistischen Pamphlete sind genug geschrieben. „Frei nach einer Idee von Gesine Schmidt“, wie es im Programmblatt heißt, widmet sich „Fake on me“ den sozialen Medien, und wie junge Menschen mit ihnen leben: nicht krittelnd, auch nicht affirmativ – sondern ganz praxisnah.
„Und vergib uns unseren Hate“
Platz für kleine sarkastische Piekser lässt das allemal. Dafür steht schon der Auftakt mit dem chorisch gesprochenen Gebet: „Und vergib uns unseren Hate, wie auch wir vergeben unseren Hatern“. Flach? Nein, wie das auf der großen Woge des Bühnenbildes vor einem überwiegend dezent Video-bebilderten Rundhorizont vorgetragen wird, grenzt es schon an große Oper – sprich: an eine schwelgerische Koloratur-Arie. „High fidelity in infinity – senden!“
Amüsant peinlich wird’s für die souveränen Chatter und Cloudsurfer erst, wenn sie dem digitalen Gegenüber im analogen Leben begegnen. Dann lässt sie den umschwärmten Typ kühl stehen: „Sorry, du bist unfotogen!“ Und der vom hohen Ross geholte Prinz spricht einen Monolog, um den ihn Hamlet hätte beneiden können: „Flexible, functional, fuckable.“ Wie war das noch, wessen Name war Falschheit?
Tanz der Emojis und Party-Getränke
Dem Thema bleibt „Fake on me“ treu, variiert es aber mit vollendeter Lust an der Bewegung. Meistens ist die komplette Clique auf der Bühnenwelle, schafft stetig neue Bilder, singt und rappt zum Tanz der Emojis und fast mannshohen Party-Getränke. Selbst eine Spitzentanz-Einlage zu längst verebbter Musik fügt sich schlüssig in einen Rülps-Chor der Verkaterten. Hier hat eben alles sein gekonntes Timing.
Das analoge Spiel zum digitalen Thema kitzelt echte Könner hervor – die auch keine Angst haben vor hochtourigen Albernheiten. So steigern die 18 das als neueres Kirchenlied bekannte „Danke“-Gebet („Danke für alle Apps mit Filtern, danke, denn es soll schön ausseh’n“) in ein immer kreischigeres Falsett, bei dem auch die Jungs schrill mitpiepsen. Schließlich zitiert „Fake on me“ durchaus gezielt A-has 33 Jahre alten Hit „Take on me“, der in Sachen Falsett ebenso Maßstäbe setzte wie in Sachen virales Video-Marketing.
„Ich widerspreche“
Apropos Musik: Sie ist von sachter Liedermacherei über Tasten-Rhythmik vom Klavier am Bühnenrand bis zu blubbernden Beats so exakt in die Szenen-Collage eingepasst, dass man den dichten Soundteppich wie ein Echo der Dialoge und Monologe wahrnimmt. Auch das Schlusswort ist ein rhetorischer Coup: „Ich widerspreche“ – und zwar allem, was einem Facebook, WhatsApp etc pp so unterjubeln wollen: „Ich widerspreche den allgemeinen Geschäftsbedingungen.“
Wäre diese Inszenierung nicht viel zu groß dafür – man müsste sie auf YouTube stellen.
Auf der Bühne von A bis W
Das junge „Fake on me“-Ensemble : Alaa Alarsan, Niels Bublitz, Kester Crosberger, Luay Ahmad Eleiwy, Madeleine Flötgen, Emily Hellwich, Paul Hellwich, Kira Kaßen, Yannis Klindworth, Olivia Marschalek, Alan Mustafa, Kirill Neuberger, Stella Schaberg, Amelie Steinweiß, Elena Stuckmann, Rima Tigranyan, Cosima Voigt und Kim Werner.
Zudem sind die 18 von 15 bis 24 Jahren auch Co-Autoren mit Beiträgen zu den Dialogen dieser ersten Spielzeit-Premiere.