Essen. . „Die besten Orte Deutschlands“: Der Berliner Reporter und Autor Lucas Vogelsang („Heimaterde“) wird ab 1. Oktober der neue Stadtschreiber Ruhr.

„Wenn es um München gegangen wäre, da hätte ich garantiert länger überlegt“, sagt Lucas Vogelsang, „aber ein Reporter, der aus Berlin ins Ruhrgebiet geht? Das ist ja wie ein Auswärtsspiel zu Hause!“ Und wenn man genau hingehört hat, dann hat er natürlich nicht „Das“ gesagt, sondern etwas, das wir eine Kreuzung aus „Dit“ und „Dat“ klingt. Berlin und das Ruhrgebiet? „Die beiden besten Orte Deutschlands“, schwärmt er sich in Rage.

Vogelsangs Zuneigung zum Revier begann vor fast zwei Jahrzehnten, als er Peter Torwarths Kultfilm „Bang Boom Bang“ sah. Und Typen wie sein Kumpel Micky Beisenherz aus Castrop-Rauxel sorgten dafür, dass sie bis heute nicht aufgehört hat.

Vier Wochen Kreisliga in Bottrop

Der zweite Stadtschreiber Ruhr ist ein leidenschaftlicher Grenzgänger, nicht nur zwischen Literatur und Reportage: Lucas Vogelsang, gerade 33 geworden, geht dahin, wo es anderen wehtut. Für ein Dossier in der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat er vor Jahren einmal vier Wochen lang die Kreisliga in Bottrop beobachtet, SV Vonderort 1949. Und als „Wortsport“-Kolumnist beim BvB Furore gemacht mit dem sentimental-raubeinigen Prosagedicht „In der Wand“, eine Hymne an die Dortmunder Süd. Aber dass er heute auf Lesungen immer noch als Kolumnist der etwas anderen Fußball-Gazette „11 Freunde“ vorgestellt wird, ärgert ihn schon: „Das ja ist lange vorbei!“

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Vogelsang hat längst für den Berliner „Tagesspiegel“ gearbeitet, für den „Playboy“, für die „Welt“ und andere Zeitungen. Vor allem aber hat er mit „Heimaterde“ im Frühjahr 2017 ein hochgelobtes Buch über Migranten in Deutschland und Deutschland in Migranten geschrieben. Und ist dafür wochenlang durch ganz Deutschland gereist, vom Ammersee bis Lichtenhagen, von Spandau, wo er aufgewachsen ist mit Wurzeln bis heute, und dem Wedding, wo er jetzt lebt, bis – ja, bis eben ins Ruhrgebiet. In Castrop-Rauxel, wo er auf „die volle Breitseite Mensch“ traf und im Schrebergarten Zaunkönig Lothar und Donya aus dem Iran, die darüber schimpft, das viele Türken kaum Deutsch sprechen. In Essen suchte er neben dem Fußballplatz den Friedhof am Hallo, der schon früh eine muslimische Ruhestätte hatte – ein Ort wie ein Schlussstein der persönlichen Integration. „Die Biografien hier im Pott“, schreibt Vogelsang in seinem Buch, „sind brüchig, aber genau in diese Brüchen ist über die Jahrzehnte hinweg entstanden, was die Menschen heute als Identität besitzen.“

Mit Joachim Król durch die Republik

Im Moment arbeitet der künftige Stadtschreiber Ruhr an seinem nächsten Buch; dafür ist er mit seinem Freund Joachim Król quer durch die Republik gefahren, zunächst an der A2 entlang und dann durch den Osten, um eine Art deutsch-deutscher Bilanz zu ziehen, mit Menschen, für die 1989 ein neues Leben begonnen hat.

Und warum will Lucas Vogelsang jetzt noch einmal für ein ganzes Jahr im Revier wohnen, das er ja offenbar schon so gut kennt? Bis hin zu dem Satz, der den Menschen schon aus den Ohren wieder rauskommt? „Ist doch wahnsinnig grün hier“, grinst er, „das ist genau so, wie die Leute sagen: Mallorca hat auch schöne Ecken. Das Ruhrgebiet ist eben das Mallorca Deutschlands!“

„Ein Mensch, eine Stunde, ein Ort“

Also: Warum Stadtschreiber Ruhr werden? „Ich möchte Leute treffen und davon erzählen. Vielleicht kommen ein, zwei Dutzend Biografien heraus. Ich möchte aus Normalität Geschichten machen. Man muss ja nicht unbedingt in ein Dschungelgefängnis auf den Philippinen, um einen aufregenden Stoff zu finden.“ Am Ende stimme eben, was ihn der „Spiegel“-Haudegen Cordt Schnibben gelehrt habe: „Ein Mensch, eine Stunde, ein Ort – das ist die beste Geschichte.“