Essen. Sechs Tage, 12 Spielorte, 79 Veranstaltungen: Die Lit.Ruhr lockt vom 9. bis 14. 10. mit bekannten Gesichtern und bunten Abenden

Die Arbeit eines Schriftstellers ist der eines Bergmanns nicht unähnlich: Mit Schweiß und Mühe fördert er aus dem (oder eben: seinem) Innersten die Ablagerungen gelebten Lebens zutage, jenen Rohstoff, aus dem in komplizierten Transformationsprozessen Material für verlässliche, gar himmelsstürmende Konstruktionen wird. Wer könnte also besser als ein Schriftsteller nachempfinden, was das Ende des Bergbau für die Region bedeuten muss? Kein Geringerer als Daniel Kehlmann wird das diesjährige Literaturfestival Lit.Ruhr eröffnen, wird zum übergreifenden Festival-Thema „Abschied und Aufbruch 2018“ frische Förderware mitbringen, neue Gedankenbrocken – heiß verarbeitet und in Textform gegossen.

Daniel Kehlmann schreibt fürs Ruhrgebiet

Sechs Tage, zwölf Spielorte, 79 Veranstaltungen für große und kleine Leser mit insgesamt 136 Mitwirkenden: Auch im zweiten Programm beweisen die Festivalmacher den Mut zum großen Aufschlag. Die Kehlmann-Rede am Dienstagabend (9.10.) ist dabei nur ein Teil des Programms zum aufbrechenden Abschied: Was andere große Dichter und Denker zum Thema verfasst haben, das tragen Ulrich Noethen und Maria Schrader zusammen vor: „You say Goodbye and I say Hello!“ (12.10.). Das Gegenteil von „unter Tage“ ist himmelhoch, und so hat die Lit.Ruhr Astronauten herbeigebeamt, die vom Abschied von der Erde erzählen, vom Aufbruch ins All: Gerhard Thiele und Tochter Insa Thiele-Eich, die in seine (schwerelosen) Fußstapfen tritt (13.10.)

 Martin Walser
Martin Walser © FUNKE Foto Services / Dietmar Wä

Launige und prominent dargebotene Themenabende sind eines der Markenzeichen der Kölner Lit.Cologne, und deren Macher bringen diese Glitzereffekte nun verstärkt ins Revier. Das beginnt mit der Gala, die sich in Essens Philharmonie der „Buckligen Verwandtschaft“ widmet: Anna, Katharina und Nellie Talbach blättern in literarischen Familienalben, Wahlverwandte sind die Musiker Funny van Dannen, Thomas Quasthoff und Frank Chastenier. Mechthild Großmann und Hannelore Hoger entfachen den „Achten Höllenkreis des Humors“ (11.10., Mülheim), Annette Frier und Gustav Peter Wöhler schauen dem Partyvolk aufs Weltliteraturmaul: „Das größte Problem der Feste sind die Gäste“ (12.10.). Cordula Stratmann und Bjarne Mädel jammern lustvoll über den Reisewahn unserer Zeit (13.10., Oberhausen). Erstmals treffen Iris Berben und Anke Engelke sich auf der Bühne, klar wird es da: „Komisch!“ (14.10.)

Genau so sind auch die Postkarten Jurek Beckers, unter dem Titel „Am Strand von Bochum ist allerhand los“ versammelt – Nina Kunzendorf, Christine Becker, Ulrich Matthes und Knut Elstermann amüsieren sich (11.10., Bochum).

Daniel Kehlmann
Daniel Kehlmann © Arne Dedert

Und doch: Es gibt auch sie noch, die gute, alte Autorenlesung. Spannungsvoll wird es mit Frank Schätzing (14.10.), Klüpfel und Kobr (12.10.), Timur Vermes (12.10.) oder dem Science-Fiction-Superstar Cixin Liu (14.10.). Die jüngsten Werke deutscher Gegenwartsliteratur haben etwa Martin Walser (11.10.), Ralf Rothmann (11.10.), Robert Seethaler (12.10., Gelsenkirchen) Juli Zeh (13.10.) und Karen Duve (14.10.) im Gepäck.

Ein YouTuber als Autor

Zu den internationalen Gästen zählen A.L. Kennedy (11.10.), Maja Lunde (12.10.), Paolo Giordano (13.10.), David Sedaris (13.10.), Olivier Guez (13.10.), Meg Wolitzer (14.10.) – insgesamt eine feine Auswahl jener Autorinnen und Autoren, über die man in diesem Jahr spricht. Ein Echo des literarischen Lebens ist der Abend mit drei georgischen Autoren (13.10.) – Georgien präsentiert sich bei der zeitgleich laufenden Frankfurter Buchmesse als Gastland. Besonderen Charme aber versprühen jene Abende, deren Akteure Grenzgänger sind: YouTuber Le Floid (12.10.) oder Musiker Marcus Wiebusch von Kettcar (14.10.) denken in ihren Büchern laut über sich selbst nach. Noch mehr Beispiele derart eigenwilliger Programmgestaltung wären der Lit.Ruhr 2019 durchaus zu wünschen.

Das politische Programm

Die diesjährige Lit.Ruhr beginnt mit einem Abschied – nicht nur vom Bergbau, sondern gleich von der Welt, wie wir sie kannten. In dem Buch „Der Abstieg des Westens“ analysiert Joschka Fischer, ehemaliger Außenminister, das Ende der Dominanz des Westens und den Beginn einer neuen Weltordnung (9.10.).

Zu den politischen Gästen des Festivals zählt auch Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, der mit der Schriftstellerin und Philosophin Thea Dorn über Begriffe und Themen wie „Heimat“, „Leitkultur“ und „Patriotismus“ diskutiert (14.10.).

TV-Moderatorin Anja Reschke erzählt vom Umgang mit Hasskommentaren und Internet-Trollen: „Haltung zeigen“ heißt ihr Buch (14.10.). Über eine gerechte Gesellschaftsordnung diskutieren der ehemalige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und SPD-Politiker Kevin Kühnert: „Der große Steuerbluff“ wird moderiert von Fritz Pleitgen (13.10.).

Das Kinderprogramm – für Schulen und Familien

„Das fliegende Klassenzimmer“ bändigt TV-Moderator Malte Arkona, auch der neue Räuber Hotzenplotz und das gute, alte „Magische Baumhaus“ spielen mit: Am Wochenende (12. bis 14.10.) lockt auf Zollverein ein Familienprogramm.

In Schulklassenstärke lädt die Lit.Ruhr zu den kostenlosen (!) Lesungen „Klasse-Buch“ – einige Termine sind noch frei: www.litruhr./klassebuch.

Neu sind die Projekte „Schüler für Schüler“, in denen Schüler selbst eine Lesung organisieren (10.10.) und die „Schreibwerkstatt“ an der Uni Essen mit Joachim Friedrich, die sich ebenfalls präsentiert (11.10.).