Köln. . Ein Grenzzaun als Schutz gegen Flüchtlinge? Bestseller-Autor Timur Vermes im Gespräch über den neuen Roman – und die Kunst einfacher Worte

Sechs Jahre ist es her, dass Timur Vermes Hitler wiederkehren ließ: „Er ist wieder da“ schien vielleicht nur deshalb so irre lustig, weil wir uns vor Populisten gefeit fühlten. Nun aber legt der 51-Jährige einen neuen Roman vor, der zeigt, dass das schon damals ein Irrtum war. Die Satire „Die Hungrigen und die Satten“ erzählt von Afrikas Flüchtlingen und Deutschlands Bürgern, von medialer Inszenierung und politischer Abwehr – und von der Unmöglichkeit der Abschottung. In seinem Kölner Verlag traf Britta Heidemann den Autor und Journalisten.

„Er ist wieder da“ war ein so großer Überraschungserfolg, haben Sie da nie an eine Fortsetzung gedacht?

Timur Vermes: Nur kurz. Wo könnte Hitler denn noch hin? Er war noch nicht bei den Gewerkschaften und der Kirche, ich hätte ihn ins Ausland schicken können. Aber das wäre doch nur das gleiche in Grün gewesen. Zu zeigen, dass man auch dort auf ihn hereinfällt, ist das eine Aussage, die hilfreich ist? Nein. Das ist einfach nur das Einsammeln von Geld. Darauf hatte ich keinen Bock.

Das hätte so mancher vielleicht anders gesehen.

Natürlich bekommt man nach einem Erfolg Angebote, etwa für Zwei-Buch-Verträge. Aber ich lebe doch bereits auf einem komfortablen Niveau. Ich habe mich gefragt: Was war denn die Wurzel des Erfolgs? Das war doch die Möglichkeit, entspannt drauflosschreiben zu können. Also darf ich mich nicht binden, nicht festlegen.

Was war der Auslöser für den aktuellen Roman? Die Kuscheltiere am Münchner Hauptbahnhof?

Die Kuscheltiere waren schon wichtig, ja. Helfen, das ist okay. Aber muss das gleich so aussehen? Und dann die komplette Gegenreaktion, diese Panik. Die Debatte schien mir so infantil, floskelhaft. Zumachen, auf die Grenze aufpassen – aber was dann? Es bleibt unser Problem, auch wenn es vor der Grenze stattfindet. Ich habe 2016 für ein halbes Jahr als Textchef bei der Bunten gearbeitet, und einmal liefen da an der TV-Wand Bilder aus dem Camp Idomeni. Dieses Bild hat sich mir eingebrannt: Die Menschen, die mit den Händen in den Nato-Draht griffen. Die haben nur dieses eine Leben, und für dieses eine Leben wollen sie eine Perspektive.

Hatten Sie nicht Angst, Sie könnten beim Schreiben von der Wirklichkeit überholt werden?

Ich habe am Anfang kurz überlegt und war mir sicher, dass das Problem auch in zwei Jahren noch besteht. Weil einfach keine andere, keine sinnvollere Debatte geführt wird. Vor zwei Jahren gab es den Deal mit der Türkei, der nur den Sinn hat, dass er uns Zeit kauft. Seither sind wir keinen Schritt weiter.

Was müsste passieren? Im Roman entwickelt der Innenminister die Idee einer Flüchtlingspolitik, die Milliarden kosten würde – finden Sie das realistisch?

Was spricht gegen diese Ideen? Der Innenminister stellt fest: Wir sind ein reiches Land, und deshalb kriegen wir diese Flüchtlinge. Unser Wohlstand basiert auf unseren Werten: Jeder bekommt die gleichen Möglichkeiten. Wie man in einem Land ohne westliche Werte lebt, das hat man in der DDR 40 Jahre lang probiert. Wie weit kommen wir damit? Damit kommen wir bis Bitterfeld. Wir müssen endlich die Debatte führen basierend auf der Erkenntnis, dass diese Menschen tatsächlich unterwegs sind zu uns. Dass da etwas passiert, was wir uns nicht ausgesucht haben. Wir diskutieren ja auch nicht über das Wetter. Es regnet halt. Die Frage ist doch nicht: Wie verhindere ich den Regen? Sondern: Wie kann ich ihn nutzen?

Das von der EU finanzierte Lager in Afrika ist demnach ebenfalls keine Lösung?

Kann hilfreich sein, der Nachteil ist: Was dort passiert, können wir nur begrenzt kontrollieren. Am besten kontrollieren können wir, was in Europa passiert. Ich habe von Anfang an nicht verstanden, warum man nicht einfach den Italienern und den Griechen richtig viel Geld gibt, damit sie sich nach EU-Vorgaben um die Flüchtlinge kümmern, sie fit machen für die europäische Wirtschaft. Es muss Geld verdient werden mit diesen Menschen, mit richtigen Jobs. Stattdessen sagt man den Mittelmeer-Staaten: Pech gehabt, wärst du mal nicht ans Meer gezogen!

Haben Sie selbst sich in der Flüchtlingshilfe engagiert?

Ich bin nicht der erste, der da losstürmt. Das gute Gewissen bei uns ist meine Frau, sie hat in einem Flüchtlingsheim bei der Kinderbetreuung geholfen. Als das Heim aufgelöst wurde, habe ich mitgeholfen und mir das angeschaut: Die hocken derart dicht aufeinander, das muss ja Ärger geben. Wenn die Ankerzentren so aussehen, dann wird da ständig Zunder drin sein. Und dann heißt es wieder: Immer diese Flüchtlinge!

Das Ende des Romans, ohne zu viel verraten zu wollen, handelt auch von der Angst vor einem Rechtsruck in Deutschland.

Wenn die Grenze planlos aufgeht, kippt das Land nach rechts. Die Reaktion ist simpel: „Wo soll das alles enden? Hilfehilfe: AfD!“ Die politischen Mechanismen sind dabei immer die gleichen: Erzähle der größeren Gruppe, dass sie eigentlich das Opfer ist. Setze dann aufgrund dieses Opferstatus Dinge durch, die die Gruppenmitglieder sonst niemals akzeptieren würden. Das Schlimme ist, dass diese Mechanismen noch nicht einmal raffiniert sind oder versteckt, sondern ganz simpel und offen.

Zu den großen Vereinfachern zählen die Boulevardmedien. Wie vereinen Sie den Boulevardjournalismus mit Ihrer Botschaft als Schriftsteller?

Auch im Roman stellt sich das Problem relativ einfach dar. Wer das Buch gelesen hat, kann sich nicht mehr hinstellen und sagen: Wir bauen jetzt einen Zaun, und was dann kommt kann keiner wissen. Ich spiel’s ihm vor, ohne Tricks, ohne doppelten Boden. Die Geschichte ist bunt, brutal, witzig und bitter. Das sind die klassischen Mittel des Boulevard: Der Leser wird seinen Spaß haben – aber hinterher weiß er auch, worum es geht.

Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten. Eichborn, 512 S., 22 €