Essen. . Weltpremiere in Essen, kurz vorm Kinostart: Regisseur Andreas Dresen erzählt in seinem Film „Gundermann“ vom Drama des singenden Baggerfahrers.
Am Abend zuvor hat er noch mit seiner Gitarre auf der Lichtburg-Bühne gestanden und Gundermann-Lieder gesungen. „Vater“, „Brigitta“ und natürlich „Hier bin ich geboren“. Songs, im Westen so unbekannt wie ihr Schöpfer, Gerhard „Gundi“ Gundermann. Andreas Dresen, vor 55 Jahren in der DDR geboren, hat dem mit nur 43 Jahren verstorbenen Liedermacher und Baggerfahrer aus dem Lausitzer Braunkohlerevier ein großartiges Porträt gewidmet.
Dass dieser Film tief im Westen Weltpremiere hat, liegt nicht nur an der Essener Lichtburg, die Dresen so liebt. Ein Teil des Films ist unter anderem auch mit Mitteln der Filmstiftung NRW im Ruhrgebiet entstanden. Das Lausitzer Zechenhäuschen von Gundermann steht eigentlich in Gelsenkirchen. Auch so eine Nachwende-Geschichte. „Den Osten, kann man in einigen Regionen heute besser im Westen drehen“, erzählt Dresen im Gespräch mit Martina Schürmann.
Gerhard – wer? Wie oft haben Sie den Satz jetzt gehört?
Dresen: Unendlich oft. Aber wenn man die Facetten des Charakters erst mal auffächert, sind die Leute rasch interessiert. Gundermann, das ist der Arbeiter, der ein Rockstar war. Der hat im Vorprogramm von Joan Baez und Bob Dylan gespielt. Und dann ist er wieder nach Hause gefahren und in seine Baggerkanzel im Tagebau gestiegen.
Sie haben mehr als zehn Jahre für den Film gekämpft. Was hat Sie an diesem Charakter so fasziniert?
Seine Widersprüchlichkeit. Er hat gegen das System gesungen und für das System spioniert. Und dann dieser Idealismus! Diese Facetten waren uns wichtig, weil wir einen Film machen wollten, der die DDR so differenziert zeigt, wie wir sie selber erlebt haben. Wir wollten zeigen, dass man Täter und Opfer in einer Person sein kann.
Gundermann hat für die Stasi gespitzelt, später aber hat ihn die Partei sogar ausgeschlossen. Wie ist das zu erklären?
Gundermann hat die DDR beim Wort genommen und von links kritisiert, genau deswegen ist er aus der Partei rausgeflogen. Das ist die Tragödie des ganzen Systems. Ich glaube auch, dass daran der Osten zerbrochen ist. Er hat die eigenen Leute, die eigentlich dafür waren, zu Gegnern gemacht. Mein Vater Adolf Dresen hat 1977 am Deutschen Theater eine Petition für die Wiedereinreise von Wolf Biermann unterschrieben und ist daraufhin aus der Partei geflogen. Er ist dann auch ausgereist und hat im Westen gelebt, obwohl er eigentlich an die Idee von einer gerechteren Welt geglaubt hat. So ging es vielen Linksintellektuellen, die von der DDR ausgegrenzt wurden, weil die Führung zu borniert und kleinkariert war.
Warum wirkt in Ihrem Film selbst eine Stasi-Anwerbung nicht mehr so konspirativ und bedrohlich, wie wir es sonst gezeigt bekommen?
Ich wollte diese Stasi-Mitarbeit als etwas zeigen, das im Alltag verwurzelt ist und nicht von dunklen Mächten gesteuert wird. Die wenigsten Stasi-Zuträger waren ja fremdgesteuert und haben nur mitgemacht, weil sie erpresst wurden. Die meisten waren aus freien Stücken dabei. Bei Gundermann war es auch so. Obwohl sie ihn schon sehr geschickt abgeholt haben, bei seinem Idealismus. Er hat ja geglaubt, damit die DDR besser machen zu können, wollte mit seinem Singeklub in den Westen reisen.
Warum war Gundermann von seiner Stasi-Akte völlig überrascht?
Er hat das wohl tatsächlich sehr lange verdrängt und tief ins Unterbewusstsein verbannt. Ich weiß es von seiner Frau Conny: Gundermann war total schockiert, als er die Berichte Jahre später gelesen hat.
Hat man Sie auch angesprochen?
Ich wurde an der Filmhochschule 1988 geworben. Aber ich konnte damals relativ unkompliziert Nein sagen. Es blieb ohne Folgen.
2019 ist der 30. Jahrestag des Mauerfalls. Wie lange kann man Filme wie „Gundermann“ noch machen?
Man kann sie immer machen, weil Menschen sich für gute Geschichten interessieren. Toni Erdmann kannte ja vorher auch niemand, und die Leute haben den Film geliebt. Da kann man auch ins Kino gehen und Gerhard Gundermann kennenlernen. Vielleicht wird er jetzt ja doch noch bekannter. Der „Rolling Stone“ hat gerade sechs Seiten über ihn gemacht: Gundermann im „Rolling Stone“, dass ich das noch erleben darf!