Essen. . Ruhrtriennale: Die syrische Auftragsproduktion „The Factory“ erhellt einen realen Skandal um eine Zementfabrik.

Draußen hallen die Schüsse der IS-Kämpfer, im Innern der Zementfabrik sitzen 28 Arbeiter fest – von der Konzernleitung beauftragt, die Stellung zu halten. Kurz bevor der IS im September 2014 das französische Zementwerk Lafarge im Norden Syriens einnimmt, kann Arbeiter Ahmad mit den anderen fliehen. Der letzte Blick, den er auf seine syrische Heimat wirft, wird verstellt von einer türkischen Schutzmaßnahme gegen Flüchtlinge wie ihn: eine Mauer.

Gebaut wird immer. Sogar im Krieg.

Warum hat die französische Firma Lafarge ihr Engagement in Syrien nicht früher beendet? Etwa, als 2012 neun Arbeiter entführt wurden? Oder später, als der IS Wegzoll forderte? Wer war verantwortlich, wer hat geholfen, wer hat seine Interessen durchgesetzt? Der Skandal um den französischen Konzern, der Schutzgeld in Millionenhöhe an den IS zahlte, wurde 2017 durch einen Artikel in der Zeitung „Le Monde“ publik. Das Dokudrama „The Factory“ von Mohammad al Attar und Omar Abusaada, ein Auftragswerk für die Ruhrtriennale, aber beginnt früher: mit einer Email, die Arbeiter Ahmad an die Journalistin Maryam schreibt.

Dokumentartheater auf der Bühne von PACT Zollverein

Auf der kargen Bühne von PACT Zollverein dient ein Betonturm als Video-Projektionsfläche, sitzen die vier Protagonisten links und rechts an kleinen Tischen und kommen wie in der Schule vor, wenn ihr Part an der Reihe ist: klassisches, monolog-lastiges Dokumentartheater auf Arabisch mit deutschen Übertiteln. Dass dies dennoch packt, liegt an den zunehmenden Verflechtungen und Widersprüchlichkeiten, die die Erzählungen der vier Protagonisten offenbaren. Neben Maryam (Lina Murat) und Arbeiter Ahmad (Mustafa Kur) sind dies der dem Assad-Regime nahestehende Geschäftsmann Firas (Ramzi Choukair) und der windige kanadische „Berater“ Amr (Saad Al Ghefari). Dieser sorgt etwa dafür, dass Lafarge den Lösegeldforderungen des IS für die entführten Arbeiter nicht nachkommt; als die IS-Kämpfer verstehen, dass die Familien der Arbeiter das Geld zahlen, gewähren sie Rabatt.

Schutzgeldzahlungen an den IS

Die Wirren des Bürgerkriegs, sie werden spürbar in den Selbstdarstellungen der Protagonisten: Jeder von ihnen kann sich erklären, hat lautere Absichten, macht nichts falsch. Und doch prallen Interessen aufeinander, werden Grenzen überschritten, bröckelt die Wahrheit mit jedem Satz dahin. In den (leider seltenen) Szenen der Interaktion explodiert ausdrucksstark das ganze Drama eines Krisenherds.

Die eigentlich Verantwortlichen bleiben – wie so oft – im Hintergrund. Per Videotext lesen wir vom Fortgang des realen Skandals: Zwei Chefs von Lafarge mussten bereits gehen. Vor zwei Monaten hat nun die französische Justiz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wegen Finanzierung terroristischer Aktivitäten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Nach dem Krieg vom Aufbau profitieren

Warum blieb Lafarge so lange in Syrien? „The Factory“ legt die Begründung nahe, es sei darum gegangen, nach dem Krieg möglichst schnell wieder produktionsfähig zu sein – um vom Aufbau zu profitieren. Ein Blick in Wirtschaftszeitungen aber verrät noch einen weiteren Grund: Ein Rückzug aus Syrien hätte die Verhandlungsposition von Lafarge in einem Fusionspoker mit der Firma Holcim geschwächt. Und tatsächlich führte die Aufgabe des Werkes 2014 dazu, dass die Fusionsverträge nachträglich geändert wurden – zu Lasten Lafarges.

Am Ende leuchtet eine Schar von Bauhelmen auf der Bühne, sie liegen verstreut wie Grabsteine. Und Ahmad erzählt von seiner Flucht in die Türkei, die ihn all’ den so mühevoll verdienten Lohn kostete.

Langer Beifall für einen aufklärerischen Abend.

The Factory. PACT Zollverein, 15., 16., 17., 18. August, 20 h. www.ruhrtriennale.de