ESSEN. . In „Grenzenlos“ zeigt Regisseur Wim Wenders eine Liebe zwischen Terror und Tiefsee. Ein Gespräch über Albträume und die Zukunft am Meeresgrund.

2018 war ein arbeitsreiches Jahr für Wim Wenders. Anfang des Jahres hat er seinen Filmklassiker „Der Himmel über Berlin“ in restaurierter Fassung herausgebracht. Vor kurzem ist seine international beachtete Dokumentation über Papst Franziskus ins Kino gekommen. Mit seinem neuen Projekt, der Buch-Verfilmung „Grenzenlos“, wagt er sich in neue Sphären. Die Liebesgeschichte zwischen Danielle (Alicia Vikander) und James (James McAvoy) beschäftigt sich auch mit Themen wie dem islamistischen Terror und der Faszination der Tiefseeforschung. In der Essener Lichtburg sprach Wim Wenders mit Martina Schürmann über einen Film, der ihm auch Albträume bereitet hat.

Herr Wenders, gerade haben Sie Papst Franziskus als Mahner für mehr Frieden und Umweltbewusstsein auftreten lassen. Jetzt geht auch ihr Blick von den Beziehungskrisen hin zu den großen politischen Konflikten. Ist Ihnen bange geworden um den Zustand der Welt?

Wenders: Es ist uns doch allen bange. Die schlechten Nachrichten reißen ja nicht ab: Terrorismus, Krieg, Verfolgung, Flucht, Armut, Klimakatastrophe, Artensterben. Eine heutige Liebesgeschichte, hab ich mir gedacht, muss an die Nieren gehen, inmitten von alledem, und trotzdem bedingungslos sein.

Vor „Grenzenlos“ haben Sie vor einigen Jahren „Land of Plenty“ gedreht, ein Film, der unter dem Eindruck des 11. September und seiner Folgen entstand. Haben die beiden Filme Parallelen?

„Grenzenlos“ beschreibt eine politische Landschaft, die so nicht entstanden wäre, wenn auf den 11. September damals anders reagiert worden wäre. Und das wäre ja durchaus möglich gewesen, die Welt war vereint in ihrer Ablehnung und Empörung. Diese Entscheidung, „Krieg“ zu führen gegen den Terrorismus, hat den Terrorismus erst hochgezüchtet, von dem unser Film erzählt. Ich hab noch das T-Shirt mit dem Aufdruck „Achse der Feiglinge“, weil ich stolz war, dass Deutschland und Frankreich bei diesem herbeigelogenen Krieg nicht mitgemacht haben. Die Achse der vermeintlich Mutigen hat ungeheuer viel Schaden angerichtet.

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Der Film spielt teils in Somalia, kein Land, um Filme zu drehen.

J. M. Ledgard, der Autor des Romans, der als Journalist mehrfach in Somalia war, hat uns dringend davon abgeraten. Nach einigem Suchen sind wir dann in Djibouti gelandet, auch bitterarm, aber verhältnismäßig sicher, weil in diesem Land neun Armeen aus aller Welt ihren Stützpunkt haben, um von dort aus den Golf zu kontrollieren. Da zu arbeiten, war immer noch abenteuerlich genug, bei Temperaturen über 40 Grad und null Infrastruktur. In Djibouti ist noch nie ein Film gedreht worden.

Folter, Steinigung, Scheinexekution. Bilder, die man so nicht aus Wenders-Filmen kennt. Sind Ihnen die Szenen schwer gefallen?

Ich hatte davor mehr Angst als vor allem, was ich je in meinem Leben gedreht habe. Die Steinigung zum Beispiel hat mir wochenlang Albträume gemacht. Wie kann man solche Grausamkeiten zeigen? Die Bilder von archaischer Gewalt sollen natürlich unter die Haut gehen. Aber gleichzeitig war es uns wichtig, die Sachen differenziert zu zeichnen. Man darf nicht bloß „die Bösen“ sehen, sondern Menschen, die vor ihrem sozialen Hintergrund kaum andere Chancen haben, als in so eine Terror-Armee rekrutiert zu werden.

„Grenzenlos“ wagt eine mutige Klammer zwischen Liebesgeschichte, Geopolitik und Meeresbiologie. Was hat Sie an diesem ungewöhnlichen Dreiklang fasziniert?

Diese unterschiedlichen Aspekte von Leben zusammenzubringen, das hat mich von Anfang an gereizt. Dass da unten auf dem Meeresboden vielleicht die Zukunft der Menschheit liegt, dass da die Bodenschätze zu finden sind, die man auf dem Mars umsonst sucht. Es ist ja ein merkwürdiger Widerspruch der Menschheit, dass sie seit jeher nach den Sternen guckt und sich da hinsehnt, aber den eigenen Planeten nicht kennt, in diesem Fall den Meeresboden.

© Boxfish Films

Man denkt bei einigen Unterwasser-Bildern an frühe Tiefsee-Pioniere wie Jacques Cousteau.

Ich habe all das noch einmal angesehen, was ich schon als Jugendlicher gekannt hatte. Ich musste ja viel lernen über das Meer und die Möglichkeiten, dort zu filmen. Die Nautile, das Tauchboot in unserem Film, haben wir „live“ nur für wenige Tage nutzen können und es dann im Studio nachgebaut. Es gibt auf der Welt nur drei solcher Kapseln, die so weit runtergehen, auf 3000 bis 4000 Meter Meerestiefe.

Mit Ihrer Pina Bausch-Dokumentation haben Sie die 3D-Technik vor ein paar Jahren sehr erfolgreich ins Arthouse-Kino geholt. Wäre „Grenzenlos“ dafür nicht auch ein Kandidat gewesen?

Ich hab alles versucht, um das möglich zu machen. Aber es gab keine Chance, vor allem bei den Verleihern. Das einzige, was heute noch in 3D geht, sind Animations- und Actionfilme. Selbst die Schauspieler-Agenten ziehen zurück: Ein Filmprojekt gilt als nicht seriös, wenn es in 3D gemacht wird. Das hätte ich vor ein paar Jahren nicht vermutet, dass sich das Erzählkino diese Chance entgehen lässt. Es ist ein Skandal, wie diese traumhaft schöne Technik mit all ihren Möglichkeiten von den großen Studios dermaßen runtergewirtschaftet wurde.