Bochum. . Bochum Total war für ein langes Wochenende die Hauptstadt von Rock-Deutschland: 125 Bands an vier Abenden – und kaum Ärger
Marcus Gloria hat ein gutes Näschen. Vor 32 Jahren erfand er Bochum Total – heute eines der größten Rockfestivals im Lande. Vor der 33. Auflage indes hat sich der 55-Jährige verrechnet. Um der Fußball-Weltmeisterschaft aus dem Weg zu gehen, verschob Gloria den angestammten Termin. Und dann musste das deutsche Team trat schon nach der Vorrunde die Heimreise antreten. Bochum Total hat’s überlebt. Trotz der Sommerferien strömten von Donnerstag bis Samstag nach Angaben von Veranstalter und Polizei 510 000 Menschen in die Innenstadt, die Prognosen bis zum Finale lagen bei 700 000.
Die Erfolgsgeschichte von Bochum Total verblüfft beständig. 1986 war der Student Marcus Gloria mit seinem Freund Heri Reipöler (heute einer der Macher des Zeltfestivals Ruhr) und dem Jugendamt mit dem Straßen- und Stadtfest an den Start gegangen. Erster Top-Act: die Hobbyband eines Rathaus-Mitarbeiters.
Über drei Jahrzehnte danach sucht das von Beginn an frei finanzierte Festival mit bis zu einer Million Besuchern weit und breit seinesgleichen. Das Erfolgsrezept? Der Eintritt ist frei. Die Refinanzierung gelingt über Getränkeverkauf, Standgebühren, Sponsoren, Merchandising. Andernorts müssen Fans bei Festivals dreistellige Kartenpreise berappen müssen.
Bochum Total steht aber auch für ein ambitioniertes Musikkonzept mit vielversprechenden Bands aus dem In- und Ausland, einigen arrivierten Künstlern und einem ausgeprägten Riecher für die Stars der Zukunft.
Diesmal waren es die Berliner Elektropopper Mia mit Frontfrau Mieze Katz, die ob ihres Bekanntheitsgrades als Headliner durchgingen. Hoch gehandelt werden die Kölner Brasspop-Truppe Querbeat, die Techno-Marchingband Meute aus Hamburg, der gefühlvoll-rockige Singer-Songwriter Tim Kamrad, die Münchener Alternative-Rockband Blackout Problems (um die in den Wochen zuvor als „Secret Headliner“ ein großes Geheimnis gemacht wurde) und die Punkrocker Radio Havanna, bei denen es am Samstagabend zu einem der raren Polizeieinsätze kam. Während des Auftritts wurde ein Bengalo gezündet und ein Antifa-Transparent entrollt. Polizeibeamte sollen von Pogo-Tänzern angerempelt worden sein. Wenig Dramatik auch bei den Sanitätern der Johanniter, die seit Jahren weitgehend ruhige Tagen erleben. Bis auf Probleme mit dem Kreislauf und allzu heftigem Alkoholkonsum sind bei Bochum Total kaum Verletzte zu beklagen: Seit 2010 gilt ein Glasverbot.
Gefeiert wird weitgehend friedlich – diesmal bei idealem Festivalwetter. 125 Bands und Künstler waren es insgesamt, die der Rock-City Bochum auf fünf Open-Air-Bühnen und beim zunehmend opulenten Offstage-Programm mit nächtlichem Nachschlag in den Clubs und Kneipen einheizten.
Die ganze Spannbreite des Festivals zeigte sich exemplarisch an einem Abend. Die (so heißen die Jungs wirklich) Joachim Fucking Foerster Band rockt auf vier Quadratmetern Straßenpflaster die Bermuda-Institution „Pinte“. Das Bochumer Rock-Urgestein Jo Hartmann röhrt auf der Heinz-Bühne. Comedian Tim Szlafmyca turnt als Verbalakrobat über die Wortschatz-Bühne. Und Mia huldigt dem Mainstream auf der großen 1Live-Bühne. Genau das ist Bochum Total.