Mülheim. . Zurücklehnen unerwünscht: Beim Impulse-Festival 2018 in Mülheim, Köln und Düsseldorf fasst die Freie Szene manches heiße Eisen an.

Rassismus, Leihmutterschaft, die soziale Schere, Drohnenkrieg, Körperpolitik – die Stücke des diesjährigen Impulse Theater Festival fassen richtig heiße Eisen an, brechen Sehgewohnheiten auf, verschmelzen Bühnen- und Publikumsräume zu Erfahrungsräumen. Zurücklehnen und bloß Zuschauen ist unerwünscht. Mit dem neuen Leiter Haiko Pfost scheint dem Bestentreffen der Freien Theaterszene aus dem deutschsprachigen Raum tatsächlich ein Neuanfang gelungen zu sein. Im auf die Städte Mülheim an der Ruhr, Köln und Düsseldorf verteilten Programm fällt jedenfalls nur eine altbekannte Gruppe auf.

Das Gießener Performancekollektiv She She Pop ist wieder dabei, mit der Produktion „Oratorium“. In einem zweijährigen Rechercheprozess hat es sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie Eigentum das Bewusstsein verändert, hat arme und reiche Menschen aufgesucht – auch aus Mülheim – und wird im dortigen Ringlokschuppen Künstlerinnen und Künstler, lokale Delegierte und Publikum anhand ihrer Besitzverhältnisse zu Sprechchören formieren, die in jeder Aufführung aufs Neue unseren Umgang mit dem Eigentum verhandeln.

Ringlokschuppen ist Ort des „Showcase“

Der Ringlokschuppen ist dieses Jahr Ort des „Showcase“, also der Aufführungsreihe, die das Herzstück des Festivals bildet. Düsseldorf ist Schauplatz des Stadtprojekts „Wenn die Häuser Trauer tragen“, bei dem Künstler und Kollektive anhand einer Immobilie, die die Stadt verkauft, und der Institutionen, die nun ausziehen müssen, zu Verlust und Neuanfang arbeiten. Und an der Studiobühne Köln diskutieren Fachbesucher und Interessierte in der Impulse-Akademie unter anderem über die prekären Lebenslagen der Freien-Szene-Akteure. Die Rollen, die die Städte im Festival einnehmen, wechseln in den kommenden Jahren.

300 Stücke hat die Impulse-Jury gesichtet, die auch mit regionalen Scouts und Publikumsvertretern besetzt war. Oberste Kriterien für die Auswahl waren für Haiko Pfost „dass die Produktionen herausfordernd sind, dass sie so nicht am Stadttheater entstanden sein können, dass sie tatsächlich Impulse aussenden.“ Denn obwohl es immer mehr Beispiele für Brückenschläge zwischen den Stadttheatern und der Freien Szene gibt, sieht er weiter grundlegende Unterschiede in den Systemen: „Im Freien Theater wird nicht so sehr vom Ergebnis her gedacht, es gibt andere Zeitabläufe mit langen Recherchephasen, kollektives und internationales Arbeiten. Deshalb wird es auch immer schwieriger, die Grenzen des deutschsprachigen Raums zu bestimmen.“

Ekstatischer Clubabend zur Festival-Eröffnung

An „Pink Money“, einem ekstatischen Clubabend zur Festival-Eröffnung, der zeigt, dass auch queere, subkulturelle Zusammenhänge nicht frei von Geld- und Machtverhältnissen sind, arbeiten zum Beispiel Künstlerinnen aus Südafrika, Holland oder Bosnien-Herzegowina mit.

In der Performance „Enjoy Racism“ des Duos Thom Truong werden die Besucher aufgrund ihrer Augenfarbe diskriminiert. Blauäugige dürfen in die Lounge, Braunäugige müssen in eine Art Rumpelkeller. Ein Genuss für die Privilegierten – der allerdings nur um den Preis der Diskriminierung der anderen zu haben ist und sich bald umkehrt. Die „radikalste Position des Festivals“ ist für Leiter Haiko Pfost die Performance „Guardians of Sleep“ von David Weber-Krebs. Sie beginnt mit einer Flut von Sinneseindrücken, wie wenn man sich stundenlang nicht vom Neuigkeiten-Fluss der sozialen Netzwerke losreißen kann. Wenn die Eindrücke versiegen und die Displays erlöschen, ist das Publikum auf sich selbst zurückgeworfen – und durchlebt gemeinsam mit den Performern ein gemeinschaftliches Schlaferlebnis.

Das Festival läuft vom 13. bis 24. Juni. www.impulsefestival.de