Gemütlich gondeln mit Brunetti: Donna Leons neuer kriminalistischer Venedig-Reiseführer heißt „Heimliche Versuchung“.
Ein Krimi von Donna Leon ist ein wenig wie eine Gondelfahrt über den Canal Grande: Gemächlich streift der Leserpassagier die schönsten Bauten Venedigs, erhascht einen Blick auf ur-venezianische Gepflogenheiten, darf sich mittendrin fühlen – und wird doch in seiner Ruhe nie gestört. Denn weder Krimi noch Gondel nehmen je so richtig Fahrt auf.
Der 27. Brunetti-Krimi
„Heimliche Versuchung“ heißt die 27. Rundfahrt durch die Wahlheimat der amerikanischen Autorin. Die 75-Jährige scheint sich zunächst den Verführbarkeiten der Jugend widmen zu wollen – es geht um Drogen, Dealer, kurz: um die schlimmsten Albträume aller Eltern. Dann aber – und hier nähern wir uns dem, was bei Leon eine rasante Wendung bedeutet – schwenkt Comissario Brunetti in seinen Ermittlungen um. Nicht etwa ein jugendlicher Drogendealer hat einen besorgt nachforschenden Vater am Kanalufer niedergeschlagen. Nein, Brunettis Ermittlungen führen letztlich auf die Spur eines betrügerischen Apothekers – und eine Ärztin, die für das Wohl ihres Kindes die eigene Existenz aufs Spiel setzt.
Manch staubtrockene Moralpredigt
Einmal mehr reflektiert Brunetti hochmoralische Grundsatzfragen, wird der Krimi zum griechischen Drama. Passenderweise greift Brunetti nach Feierabend zu Sophokles’ Werken und erweist sich damit erneut als einer der belesendsten Kommissare der Krimiszene. Doch wo Brunetti seine Lektüre mit einem guten Rotwein herunterspült, mutet Leon ihren Lesern manch staubtrockene Moralpredigt zu: direkt aus den Untiefen der italienischen Gesellschaft, dargebracht von ihrem tadellosen Protagonisten. Wenn am Ende der Fall des gefallenen Mannes geklärt ist, sind wir schon deshalb froh, weil damit auch das Lamentieren über die Schlechtigkeit der Welt ein Ende hat.
Donna Leon: Heimliche Versuchung. Diogenes, 336 S., 24 Euro