Essen. . Gefeierte Premiere einer Operette auf dem Glatteis: Am Essener Aalto-Theater inszeniert Bruno Klimek „Eine Nacht in Venedig“ von Johann Strauß.

Die letzte „Nacht in Venedig“ an der Ruhr ist lange her. Die Aufführung war ein Beitrag zur Bundesgartenschau 1997. Man sang draußen am Rhein-Herne-Kanal, und unserer Erinnerung nach regnete es. Entsprechende Ängste sind Besuchern 2018 zu nehmen: Man singt drinnen – und es schneit.

Das Aalto-Theater hebt die erste Operettenpremiere der Intendanten-Ära Mulders aus der Taufe. Nach fünf Wartejahren ein Coup: Bruno Klimeks Inszenierung wurde Sonntagabend einhellig gefeiert, nichts weniger als das Kunststück einer Neubegegnung, die Opas Operette so clever überwindet wie sie billiger Zeitgenossenschaft aus dem Weg zu gehen weiß.

Durchbrennende Sicherung mediterraner Sehnsucht

Doch zurück zum Schnee. Beim Stichwort Venedig brennt Menschen ja derart die Sicherung mediterraner Sehnsucht durch, dass sie glatt vergessen, wie kalt es (High­smith!) da sein kann, zumal im Karneval. Da setzt Klimek an: Es ist krachend kalt am Lido. Das sich dem schürzenjagenden Herzog entgegenwartende Damen-Heer bibbert samt Muff und Nerz auf Eis. Auf sicherem Boden baut hier kein Gefühl, von Beginn an zeigt Jens Kilians Bühne erste Risse. Wer wohl als erster einbricht, fragt man sich, während charmantes Illusionstheater, fintenreiche Parodie und handfester Klamauk auf Winterreifen durch den Abend brettern.

Klimek fährt ein Arsenal an Gags und Überraschungen auf. Da werden Makkaroni im Parkett gekocht, da umspielt der trockene Witz einer Copperfield-Zauberei öde Umbau-Pausen. Da ist ein Puppenstuben-Markusplatz, den die unter wuchtigem Tuten einlaufenden Kreuzfahrt-Giganten ins Wanken bringen. Den Zusammenbruch vermag ein Hochsee-Liner allerdings erst mit Wagners „Walküre“-Vorspiel zu vollenden; Klimek torpediert mit Bayreuth-Munition ungeniert den Straußschen Unterhaltungskosmos. Und während der Dogenpalast kippt wie ein nasser Sack, fummelt ein Aalto-Techniker (Hans-Günter Papirnik samt Stulle und Thermoskanne) die ganze Touri-Fassade geduldig wieder zusammen: Is‘ ja doch bloß Kulisse.

Umgestellt, aktualisiert, umgedichtet

Der Masse szenischer Funken, zu der auch ein Berlusconi-artiger Senator Delaqua zählt, hält die textliche Substanz nicht stand. Klimek hat alles gegeben: Szenen umgestellt, aktualisiert, umgedichtet – den platten ständischen Verwechslungsschwank werten seine Mühen letztlich nicht auf. Dem Unterhaltungswert nimmt das wenig. Zu „Lagunenwalzer“ und Schmachtständchen wie „Sei mir gegrüßt, holdes Venezia“ schnurrt ein funkelnder Bilderreigen vorbei, satt von Assoziationen, biegsam im Spiel mit Klischees. Dem Chor gebührt der Lorbeer des Abends: ein halbes Dutzend Mal wechselt er rekordverdächtig flott die Kostüme, setzt Klimeks detailversessene Personenführung bravourös um, ist mausende Mafia, Mob, Travestie-schwangerer Rokokostaat und jeder musikalischen Lage formidabel Herr. Bravo!

Essens Philharmoniker spielen die Fassung Erich Wolfgang Korngolds. Dass in ihr mitunter Hollywood mehr zu Hause ist als der gute alte Johann Strauß, daran hat man sich gewöhnt. Es funkelt filmreif im Orchester, Johannes Witt dirigiert die glänzend aufgelegten Philharmoniker effektversessen und mehr zackig als zärtlich, doch von knackiger Geschlossenheit.

Die Frauen sind den Gockeln überlegen

Was die Sänger angeht, kommt die Ensembleleistung dem Stück zweifellos nah: Die Frauen sind den Gockeln einfach überlegen. Zeigen die achtbar besetzten Herrenpartien entweder vokale oder spielerische Grenzen, steht neben Liliana de Sousa (Barbara) und Christina Clark (Ciboletta) mit Elbenita Kajtazi eine Annina aus dem Bilderbuch auf der Bühne: beseelter Silberklang, farbenreich und schon beim Fischhändlerinnen-Auftritt (ihre Doraden sind Luftballons!) die reine Charme-Offensive. Am Ende, das ein bisschen ratlos ausfranst, sind sie alle glücklich: Liebesverwirrte wie Abonnenten. Finaler Nebel auf der Bühne, auf Essens Huyssenallee indes eitel Sonnenschein.