Mülheim. So unterschiedlich (gut) kann es neuen deutschen Komödien gehen: Licht und Schatten zeigte das Genre jetzt bei Mülheims „Stücken“.
. „Fräulein Agnes“, die Titelheldin in Rebekka Kricheldorfs Auftragsarbeit für das Deutsche Theater Göttingen, hat alles satt. In einer fulminanten Eingangstirade lässt die wunderbare Hauptdarstellerin Rebecca Klingenberg ihrer Verachtung gegenüber allem freien Lauf, was sie am Kulturbetrieb und am menschlichen Miteinander überhaupt stört: Paare und Singles, schwafelnde Regionalpolitiker, militante Ex-Raucher, Großschriftsteller und Wende-Autoren, steuergeldfinanzierte Kapitalismuskritiker, Kreativwirtschaftler, einfach alles…
Wahn einer Tugendterroristin hat bei „Fräulein Agnes“ das Zeug zur Komödie
„Ich habe die ganze Menschheit satt!“ Agnes kann die Bluffs, die Lügen, das taktvolle oder taktierende Schweigen nicht akzeptieren, ohne die ein Miteinander vielleicht nicht möglich wäre. Der Eröffnungsmonolog hat etwas von Thomas Bernhard, mit kleinen Anleihen vielleicht bei Jasmina Reza, wie in der Folge auch, fast unmerklich, Wilhelm Genazino (Die Liebesblödigkeit) oder Charlotte Roche (Feuchtgebiete) ins Spiel gebracht werden. Vor allem aber zeigt die Tirade eine „Tugendterroristin“, die sich in ihrem Wahrheits-Wahn in die Rolle einer vereinsamten Misanthropin gesteigert hat.
Tatsächlich hat bei Kricheldorfs köstlicher Komödie Molières „Menschenfeind“ Pate gestanden. Wenn Agnes „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ herausschreit und damit Ingeborg Bachmanns auf die künstlerisch-ästhetische Ebene bezogene Feststellung als kategorischen Imperativ auch auf den sozialen Bereich überträgt, dann steht dem die Frage entgegen, wieviel Wahrheit der Mensch braucht und wieviel er erträgt. Freundin Fanny bringt es auf den Punkt: „Das Wichtigste ist ein korrekt eingestellter Informationsfilter“ und „Es gibt gute Gründe, warum die Gesellschaft Höflichkeit erfand.“ Dieses intelligente, sprachgewaltige Stück, das freilich keinen großen Erkenntnisgewinn bietet, wird sich gewiss durchsetzen.
Eher gut gemeint als gut: Ibrahim Amirs „Homohalal“ ist befremdlich belanglos
Zuvor war bei den „Stücke“-Tagen Ibrahim Amirs „Homohalal“ zu sehen. Der syrische Autor entwickelte den Stoff mit Flüchtlingen und Mitgliedern der Wiener Aktivistenszene; die am Wiener Volkstheater geplante Premiere wurde 2016 mit der Begründung abgesagt, Amirs „Dystopie“ (Untergangsfantasie) sei der Situation schutzsuchender Menschen nicht angemessen. Die Verlagssuche nach einer anderen Bühne endete beim Staatsschauspiel Dresden.
Acht Monate lang, so Regisseurin Laura Linnenbaum, wurde in intensiver Zusammenarbeit von Autor, Regie und Ensemble aus dem Rohmaterial eine gut gemeinte, doch befremdlich belanglose Komödie entwickelt. „Homohalal“ („der erlaubte, zulässige Mensch“) zeigt ehemalige Flüchtlinge und Aktivisten, die im toleranten Dresden des Jahres 2037 in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, die mit jedem Karriereschritt bürgerliche Verhaltensweisen, Sorgen und Vorurteile übernommen haben. Dass auch dem Thema Homophobie Genüge getan wird, nährt die Vermutung, dass man in der „rechten“ Hochburg Dresden in erster Linie ein politisches Zeichen setzen wollte.
Mit Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ geht es am Samstag in Mülheim weiter. Am Sonntag und Montag wird – im Theater an der Ruhr – „Beben“ von Maria Milisavljevic gezeigt.