Recklinghausen. Ruhrfestspiele: Frank Hoffmann drückt dem „Besuch der alten Dame“ aufdringlich den Stempel des Steinkohle-Abschieds auf
Die Fabriken bankrott, die Eisenhütte dicht: Verführerisch liegen in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ die Zutaten bereit, diese tragische Komödie vor der Folie des abgehalfterten Ruhrgebiets zu erzählen. Frank Hoffmanns Regie widerstand dem nicht, leider – die Eröffnungsinszenierung der Ruhrfestspiele ist nicht ohne peinliche Anbiederung.
Mit Flachheiten, die man gutmütig einem Pennäler-Kabarett abkaufen könnte, verlegt der scheidende Festspielchef die schweizerische Provinz in den lebensmüden Pott. Dr. Frank Hoffmann promoviert im Jahr des Steinkohle-Abschieds rasch noch in Püttrologie. Es saust uns, da er das solide Ensemble vom Kleinbürger-Kosmos Richtung Klamotte drängt, Patrioten-Vokabular ins Ohr: „Halde Hoheward“, „Glück auf“, „Erst stirbt die Zeche, dann stirbt die Stadt“. Wir haben verstanden: Dürrenmatts Güllen ist Recklinghausen, Herten oder Marl. So kaputt, dass man auf jede ökonomische Erpressung eingeht.
Wir erinnern uns: Claire Zachanassian kehrt in die Heimat (Achtung! Ruhrfestspielmotto 2018) zurück. Ihr verlogenes Nest hat sie einst zur Hure erklärt, jetzt wird die Welt ihr Bordell. Die von ihr lancierte Pleite könnte ein Scheck mühelos fortwischen. Er ist nur nicht ganz leicht zu haben. Sein Preis ist der Tod des Kindsvaters, der Claires Schicksal einst entschied: Alfred Ill.
Star-Casting geht nicht auf
Hoffmanns Revier-Bückling wäre in Ben Willikens grau-rohem Bühnenkerker noch zu verschmerzen. Dürrenmatts raffinierte Versuchsanordnung über die Käuflichkeit ist so leicht nicht kaputtzukriegen. Doch bleibt auch das Schauspielerfutter des Stückes weitgehend unverzehrt. Hoffmanns Star-Casting geht nicht auf. Maria Happel, oft und wundervoll erlebt, lässt uns mit Kopfstimmchen und Katja-Ebstein-Perücke kaum erahnen, welche schreckliche Rechnung hier aufgemacht wird. Dass sie gleich die Eröffnung sprechen muss, ist eines der vielen Defizite einer unglücklich zusammengestrichenen Fassung. Das vergiftete Kitsch-Kolorit aus Kinderchor und Turnerbund, mit dem die stinkreiche Claire becirct wird: Fragment. Die Kinder der Ills: nicht vorhanden. Und vor allem fehlt die wurmstichige Wohlstands-Apokalypse des Finales, mithin der doppelte dramatische Boden.
Gegen diese von Hoffmann aus den Fugen gebrachte Meister-Architektur Dürrenmatts spielt Happel nicht an. Das ist kaum mehr als ein süß-nervöser Horror-Vamp aus der Puppen-Galerie Tim Burtons. Die marode Majestät des Monströsen vermag der Burgtheater-Star nicht aufzubieten. Burghart Klaußners Ill nuschelt sich im Versuch seiner Kleinbürgerdarstellung an die Grenze des Verständlichen.
Montanindustrielle Maschinenmusik
Selten haben sie schöne Momente. Wenn Hoffmann den ganzen Lärm lässt, der am Ende mit montanindustrieller Maschinenmusik die Pott-Society so an die Wand drückt, dass sie Ill in den Tod treibt, gibt es sogar poetische Inseln. Happel und Klaußner vorn an der Rampe, eine Pieta zweier Menschen, die einander wechselseitig Opfer und Täter sind: Da geht es an diesem mauen Abend endlich um mehr als Industrie-Abwicklung.
Frank Hoffmanns letzte Ruhrfestspiele haben begonnen. Einen Dienst tut die Eröffnung dem, was in dieser Saison noch folgt: Es kann signifikant besser werden.