Ruhrgebiet. . Die Initiative „Stadt Bau Kultur NRW“ bringt gelungene Architektur der 50er- und 60er-Jahre ins Gespräch. Mit einem „BBB“, Vorträgen und Aktionen

Da sind sie erst mal auf Nummer Sicher gegangen. Es gehört kein allzu großer Mumm dazu, das völlig unumstrittene Musiktheater Gelsenkirchen auszuzeichnen für seine Architektur. Ein großes „BBB“ hängt daher nun für einige Monate an seiner Fassade und steht für „Big Beautiful Building“ – „Großes schönes Gebäude“. Ja. Das sehen wir.

Und auch die kommenden Triple-B-Träger stehen vielleicht nicht unbedingt in der Gefahr, von einer wütenden Menge gestürmt und endlich eingeäschert zu werden, das dann doch nicht; aber höchst umstritten werden sie sein, wenn sie jetzt auch noch geehrt werden sollen. Wie die Einkaufszentren Marler Stern und Forum Mülheim. Die Rathäuser von Castrop-Rauxel und abermals Marl. Das Hertie-Haus in Herne. Der riesenhafte Wohnkomplex „Hannibal“ in Dortmund. Oder weitere rund 25 öffentliche Gebäude dieser Art. Man schließt sie nicht gleich ins Herz, vorsichtig ausgedrückt; der Architekt Tim Rieniets sagt summa summarum über diese Bauten: „Sanierungsstau und schlechtes Image, das kann lebensbedrohlich sein für Architektur.“ Er zieht aus, sie zu retten.

Denn Rieniets ist Geschäftsführer der vom Land Nordrhein-Westfalen getragenen Initiative „Stadt Bau Kultur NRW“ mit Sitz in Gelsenkirchen, und sie betreut gemeinsam mit der Technischen Universität Dortmund das Projekt „Big Beautiful Buildings. Als die Zukunft gebaut wurde.“ Es geht um öffentliche Gebäude des Ruhrgebiets aus den 1950er- bis 70er-Jahren, einer Zeit, die architektonisch in geringem Ansehen steht. BBB soll nun, wie es heißt, „die Architektur der Nachkriegsmoderne wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen“, die „den Ansprüchen der vielfältigen und demokratischen Gesellschaft gerecht werden sollte“.

Große und kleine, bekannte und unbekannte, auffällige und unscheinbare. Doch die Initiative hängt den Bauten nicht nur kommentarlos ein BBB ans Haus, sondern sie alle werden dann auch in irgendeiner Form bespielt, besucht und besprochen. Exkursionen. Kunstprojekte. Vorträge. Ausdrücklich nicht nur für Fachleute. Ein Beispiel: Im August oder September soll im Forum Mülheim, einem an den Hauptbahnhof angeflanschten Einkaufszentrum, der Blick der Interessierten auf unsichtbare Räume gelenkt werden, Räume, die man sonst nie sieht. Das komplette Programm wird demnächst veröffentlicht.

Die Gebäude stammen aus einer Zeit, in der gebaut wurde wie nie: Es war ja auch fast alles kaputt. Nach der Not kam die Aufbruchsstimmung: Schulen, Universitäten, Kirchen, Gerichte, Rat- und Kaufhäuser entstanden für eine bessere Zukunft. Die Probleme kamen später: durch Baustoffe, die heute niemand mehr anfassen würde. Durch Beton, der zu bröseln begann. Durch Sanierung, die zu lange aufgeschoben wurde. Durch Ausmaße, die ihre Umgebung sprengten.

Metastadt Wulfen schon abgerissen

Das ist auch kein Ruhrgebietsproblem: Frankfurt am Main freut sich gerade richtig, sein Technisches Rathaus von 1974 wieder los zu sein. Stattdessen steht da nun eine neue Altstadt in den Zuschnitten des 18. Jahrhunderts. Auch das Revier hat bereits einen Teil dieser Bauten wieder verloren. Wie die Metastadt Wulfen in Dorsten oder das Hallenbad in Marl. Demnächst folgt wohl das frühere Bochumer Amts- und Landgericht. „Manchmal fällt ein Gebäude erst auf, wenn es abgerissen werden soll“, sagt Jan Heinisch, Staatssekretär im NRW-Bauministerium. Stattdessen hängen sie jetzt erst mal ein „BBB“ dran. Man kann es auch so übersetzen: Wir müssen reden.