Hagen. . Kirchen seien architektonisch wertvolle Bauwerke, und mit abgewickelten Gotteshäusern gehen auch Räume verloren, die sozialen Zwecken dienen.

In der öffentlichen Wahrnehmung gilt das Kirchenschwinden als Randproblem einzelner Pfarreien. Aufschreie über die Gemeinden hinaus gibt es in der Regel erst, wenn die Abrissbirne in Aktion tritt. Dann ist es zu spät, wissen Architekten und Stadtplaner. Deshalb engagiert sich die Landesinitiative StadtBauKultur NRW in der Diskussion. „Kirchen sind teils architektonisch überdurchschnittlich wertvolle Bauwerke, und mit abgewickelten Gotteshäusern gehen auch Räume verloren, die sozialen Zwecken dienen. In manchen Großstadt-Quartieren sind dies die einzigen Räume, die eine soziale Funktion haben“, begründet Tim Rieniets, Geschäftsführer von StadtBauKultur NRW, warum der Erhalt von Kirchen wichtig ist.

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„Wir haben festgestellt, dass in vielen Fällen in den Gemeinden Leute mit solchen Entscheidungen konfrontiert sind, die nicht die entsprechenden Kompetenzen haben. Da kommt es vor, dass im frühen Stadium falsche Entscheidungen getroffen werden“, hat der 45jährige Architekt und Städtebau-Experte erfahren. Für den Stadtplaner ist Erhalt und Umnutzung erstrebenswerter als der Abriss. Aber bei der Frage der Nachnutzung gibt es noch wenig Vernetzung und Wissenstransfer. Daher erstellt StadtBauKultur NRW derzeit in enger Abstimmung mit der Architektenkammer, der Ingenieurkammer-Bau sowie den Bistümern und Landeskirchen eine Informations- und Beratungsplattform.

Rieniets: „Es wird eine Webseite geben, die drei verschiedene Datensätze anbietet: Mit guten Beispielen, Ansprechpersonen und baufachlichen Inhalten, ergänzt durch Fortbildungs- und Beratungsangebote.“ Auf stadtbaukultur-nrw.de kann man eine Broschüre mit Beispielen von Umnutzung herunterladen.

Die Schockwirkung ist vorbei

Die Zeit drängt. „Ich habe immer ein bisschen Sorge, dass wir uns fast an Kirchenschließungen gewöhnt haben, die Schockwirkung ist vorbei, aber die eigentliche große Welle liegt noch vor uns“, fürchtet Rieniets. „Es gibt bereits einige gute Beispiele für die erfolgreiche Umnutzung von Kirchen, aber es fehlt allgemein an der Routine und an der notwendigen Unterstützung aus Politik und Zivilgesellschaft.“

Tim Rieniets, Geschäftsführer StadtBauKultur.
Tim Rieniets, Geschäftsführer StadtBauKultur. © Becker.Fotografie Sebastian Beck

Kirchen werden vielfach lediglich als sichtbare Symbole des christlichen Glaubens gesehen. Dass sie Stadt- und Landschaftsprägend sind, dieses Bewusstsein muss erst noch geschaffen werden. „Kirchen sind von überaus großer Bedeutung als Landmarken, nicht nur im physischen Sinne“, weiß Rieniets. Diese Verortung lässt sich weder durch Konsumtempel noch durch Freizeitkathedralen ersetzen. Eine spirituelle Raumerfahrung ist an keinem anderen Ort möglich. „Nicht alle sind sich bei Kirchen über den kulturellen Wert der Immobilien im Klaren. Es wird vor allem nach wirtschaftlichen und organisatorischen Gesichtspunkten entschieden.“

Angst vor dem Denkmalschutz

Besonders schwer haben es moderne Gotteshäuser. Rieniets: „In NRW gibt es ganz hervorragende Kirchenbaukunst der Nachkriegszeit. International gibt es keine zweite Region mit einer so hohen Dichte an herausragender Nachkriegsarchitektur. Es ist schade, dass dieser Wert nicht erkannt wird. Stattdessen fürchten die Verantwortlichen, dass zu viele Kirchen unter Denkmalschutz gestellt werden und Kosten verursachen.“

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Bei der Nachnutzung steht Deutschland noch am Anfang. „Ich glaube, dass wir andere Konzepte brauchen“, sagt Rieniets. „Dass irgendjemand viel Geld investiert, um diese Bauwerke zu erhalten, ist derzeit nicht zu erwarten. Darum besteht die große Kunst darin, intelligente und innovative Nachnutzungskonzepte zu finden. Aber das reicht leider nicht. Darum muss sich die Gesellschaft fragen, was ihr die Kirchen eigentlich wert sind. Ich würde mir wünschen, dass die öffentliche Hand zumindest Hilfestellung gibt.“

Die spirituelle Raumerfahrung bleibt bei einer kulturellen Umnutzung am besten gewahrt. Aber gerade wegen dieser Raumerfahrung werden in den Nachbarländern Kirchen gerne zu Diskotheken umgebaut. Dagegen sträuben sich die evangelischen und katholischen Gemeinden in Deutschland heftig. Rieniets: „Bars, Diskotheken oder Clubs in entwidmeten Kirchen sehe ich ebenfalls durchaus fragwürdig. Aber ich bin nicht der Meinung, dass man lieber den Abriss riskiert, um eine solche Nutzung zu verhindern.“ Auf dem Weg zu neuen Lösungen stehen sich die Kirchenoberen auch selbst im Weg. „Die Kirchen wollen viele Gebäude loswerden und verkaufen, aber sie beanspruchen gleichzeitig einen Einfluss, was später damit passiert. Das ist ein merkwürdiges Gebaren. In den Niederlanden geht man freier damit um.“

Kunst, Klettern und Kolumbarium

Diese Beispiele zeigen, welche Nachnutzung von Kirchen möglich ist:

  • Die Grabeskirche Liebfrauen in Dortmund ist 2009 als erstes Kolumbarium im Erzbistum Paderborn eingeweiht worden. Derzeit wird die Heilig-Kreuz-Kirche in Siegen-Weidenau in ein Kolumbarium umgewandelt. Das Projekt „Der Trauer Raum geben” mit der Kombination aus Urnenbegräbnisstätte, Gemeindekirche und Trauerpastoral will Menschen langfristig in ihrer Trauer begleiten. www.grabeskirche-liebfrauen.de, www.pv-huettental-freudenberg.de
  • Die Christ-König-Kirche in Bochum wird seit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 als Kunstkirche genutzt. Bis zu vier Ausstellungen im Jahr wandeln den Raum der ehemaligen Franziskanerkirche, die im Zuge der Strukturreform des Bistums Essen geschlossen wurde und regen Sinn- und Wertefragen an. www.kick-kunstkirche.de
  • Die frühere Pfarrkirche St. Peter in Mönchengladbach-Waldhausen ist Deutschlands erste Kletterkirche. Der Innenraum ist mit reversiblen Wänden ausgestattet, welche die komplette Raumhöhe zum Klettern nutzen. www.kletterkirche.de
Mönchengladbach, ehem. Kirche St. Peter (Arch. Clemens Holzmeister, 1933), seit 2010 Nutzung als Kletterkirche.
Mönchengladbach, ehem. Kirche St. Peter (Arch. Clemens Holzmeister, 1933), seit 2010 Nutzung als Kletterkirche. © StadtBauKulutur NRW