Rap-Musik und das Prinzip der Provokation: zur Debatte um die „Echo“-Verleihung an Kollegah und Farid Bang
„Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“, heißt es ebenso roh wie verachtend bei den Düsseldorfer Deutsch-Rappern Kollegah und Farid Bang. Seit das Album „Jung Brutal Gutaussehend 3“ bei den „Echos“ wegen ihres Verkaufserfolgs als „Album des Jahres 2017“ nominiert ist, mehrten sich die Antisemitismus-Vorwürfe. Der Ethikrat des Bundesverbandes sah sich zu einer Prüfung gezwungen – und entschied, die Rapper nicht von der Preisverleihung am Donnerstagabend auszuschließen. Bei dem Text des Songs „0815“, der auf der Bonus-EP enthalten ist, handele es sich um einen „absoluten Grenzfall“ zwischen künstlerischer Freiheit und nicht mehr hinnehmbarer Provokation.
Diese Grenze immer weiter zu verschieben, ist allerdings das Grundprinzip des Genres Gangster- oder Battle-Rap. Und auch ein US-Superstar wie Jay Z hat im letzten Jahr Ärger für eine angeblich antisemitische Line bekommen, als er in seinem Song „The Story of O.J.“ den Stereotypen vom kreditwürdigen Juden ausgegraben hat – in einem Song und Video, in dem jedes nur denkbare Schwarzen-Klischee völlig auf die Spitze getrieben wurde. Jay Z konterte die Antisemitismus-Vorwürfe mit einem Verweis auf die genre-übliche stilistische Übertreibung – die in seinen Songs schließlich jeden treffen würde, nicht nur Juden.
Damit ist man bei einer Ur-Debatte im Hiphop: In dieser Musikkultur stehen Anti-Diskriminierung und Diskriminierung seit jeher unmittelbar nebeneinander. Im Kern geht es beim Hiphop um Artikel 3 des Grundgesetzes, die Gleichheit aller vor dem Gesetz; zugleich ging es seit den ersten Battle-Raps immer darum, sich möglichst originell zu krönen und das Gegenüber möglichst schonungslos zu erniedrigen – ob er oder sie behindert oder nicht, jüdisch oder schwarz, männlich oder weiblich ist, frei nach dem Motto: Jede Bevölkerungsgruppe hat ein Recht auf Diskriminierung. Wenn etwas tief im Rap eingebrannt ist, dann die Idee, die Grenzen des Sagbaren mit möglichst kreativ-derben Sätzen („Lines“) weiter auszudehnen.
Der Anteil an frauenverachtenden, homophoben, antisemitischen, gewaltverherrlichenden Lines war im Rap deswegen immer extrem hoch. Oft wird die Kritik daran von den Musikern konterkariert mit dem Argument: „Rap ist nur ein Spiegel der Gesellschaft!“
Auf vielen Rap-Alben werden die Inhalte aber auch vom Künstler selbst entschärft. Ob man ein Rap-Album von 1992 oder ein aktuelles nimmt: Oft werden Projektile an die Staatsgewalt verteilt und Frauen zu Sex-Robotern degradiert – gleich neben Songs, in denen für Frieden gebetet und die Partnerin als Königin verehrt wird. US-Rapper Big K.R.I.T. hat diese Gegensätzlichkeit jüngst auf den Punkt gebracht mit den Zeilen „I got a whole lotta, mixed messages in my songs“ – ich habe eine Menge gemischter Botschaften in meinen Songs. Und damit spricht er nicht nur für sich: Rap ist eines der widersprüchlichsten Genres überhaupt.
Selbst Kollegah, mit bürgerlichem Namen Felix Blume, motiviert den Hörer auf einem Song dazu, niemals aufzugeben, im nächsten würdigt er wieder jedermann herab. Allerdings gibt er auf dem „Jung, brutal, gutaussehend“-Projekt mit Farid Bang immer nur den unmoralischen Pol. Es geht ausschließlich darum, sich abzufeiern und alle anderen flächendeckend zu beleidigen. Das Geschäftsmodell hinter der Reihe ist nichts als die reine Provokation, sie treibt die Urform des Battle-Raps auf die Spitze. Besonders ein Track wie „0815“: Es gibt da ja nicht nur den Ausschwitz-Satz, allein in den ersten paar Textzeilen wird über vergewaltigende Syrer gewitzelt und das Charlie-Hebdo-Massaker für einen Vergleich herangezogen. Alles ziemlich geschmacklos – ja. Aber es hat sich noch keiner getraut, das zu sagen, damit ist ein Gütekriterium von Battle-Rap erfüllt.
Schon zu Beginn ihrer Karriere als Kern einer Jugend- und Protestkultur verschob die Popmusik die Grenzen des Sagbaren: Elvis Presley musste im Fernsehen einen Hund ansingen, weil seine Songzeile „You ain’t nothing but a hounddog“ nicht als die sexuelle Anspielung verstanden werden sollte, die sie ursprünglich war. Die Reihe von gewaltverherrlichenden, diskriminierenden, provokationsverliebten Songtexten im Vorfeld des Hiphop lässt sich fortschreiben bis zu Punk oder Heavy und Death Metal. Provokante Grenzverletzungen als Teil einer Innovation sind allerdings auch ein Grundprinzip der Kunst in der Moderne, der Avantgarde, die ja immer dahin vorstoßen will, wo noch keiner war. Was immer wieder darauf hinausläuft, dass im Zweifel zwischen Kunstfreiheit und Verteidigung der Menschenwürde abgewogen werden muss.
Ein Song wie „0815“ kann jedoch allemal dafür sorgen, dass die Beleidigungen auf den Schulhöfen immer heftiger werden. Die jugendliche Hörerschaft wird die problematischen Textzeilen nicht immer als genrebedingt und mit entsprechender Distanz einordnen. Selbst bekannte Genre-Vertreter wie der US-Superstar 2Chainz geben zu, dass Rapmusik das Weltbild der Kinder enorm präge – weshalb er seiner Tochter nur die schimpfwortbefreite Version seiner Lieder vorspielt. Wenn es doch nur so einfach wäre.