Dortmund. . Aus dem Dornröschenschlaf zu einem aromatischen Ort der Kulturgeschichte: Dortmunds Kochbuch-Bibliothek kann wieder besucht werden.

„Ich ess’ eigentlich nicht besonders gern, ich koch’ lieber!“ 1a-Vorlage für ein Bewerbungsgespräch bei einer Kochbuch-Bibliothek. Aber Sibylle Ophoven, die das sagt, muss sich nicht mehr bewerben. Erstens ist sie pensioniert, zweitens in der einzigen öffentlichen Kochbuch-Bibliothek Deutschlands fest im Sattel. Der Ordner mit drei Dutzend Rezepten allein zur Rüblitorte? „Hier“, sagt Frau Ophovens Mitstreiterin Marlies Berndsen, „die Davidis ist natürlich auch dabei, zwölf Eier!“

12 000 Titel vom Barock bis Oetker hat Dortmunds Kochbuch-Bibliothek

Das war ein einziger Handgriff, treffsicher, aber nicht selbstverständlich. Die 12 000 Titel, deren ältesten 1590 der „Churf. Meintzische Mundtkoch Max Rumpoldt“ verfasste, saßen zuletzt am Katzentisch. 1988 als kulinarisches Weltwissen des im Westfalenpark eingerichteten Kochbuchmuseums ersammelt, am Ende aber (das Museum wartet auf Wiedereröffnung, wann auch immer) umgesiedelt in ein finsteres Depot. „Es lag buchstäblich“, sagt Frau Ophoven, und ihr Arm saust ganz von allein in besagte Richtung: „am Boden.“

Das ist seit diesem März anders. Ein halbes Dutzend Ehrenamtlicher pflegt den Bestand, der in der Dortmunder Stadtmitte vorerst sein nicht unfesches Zuhause gefunden hat. Einmal in der Woche sind sie für Besucher da. Manche gucken nur, andere spenden Bücher, die meisten suchen Rezepte. Wer partout nicht mehr darauf kommt, wie Tante Emmi ihre unvergleichliche Buttercreme gerührt hat, hier betritt er Gefilde aromatischer Archäologie. Es gibt Kriegskochbücher und Kinderfibeln, Handschriftliches in Sütterlin, barocke Herd-Orgie bei Hofe, die auch Bären in die Pfanne hauten, und natürlich Belege der Millionenauflagen des Pudding-Papstes aus Bielefeld.

In der Berswordt-Halle kann jeder Interessierte Einblick in 500 Jahre Koch-Geschichte gewinnen

„Das Lügen in der Küche fängt mit Doktor Oetker an: ,Kochen macht Freude’“, zitiert Sibylle Ophoven und lacht über die eigene Erkenntnis, „’ner Frau, die jeden Tag am Herd stehen muss, macht das doch keine Freude. Das ist keine Arbeit für Leute, die glauben, man müsse sich bei jedem Spiegelei selbst verwirklichen.“

Lüge, Versprechen („Paprika ist halb so scharf“), Verheißung („Rum-Fibel des Feingeschmacks“), Illusion von Imitation („Erbsenkaffee“, 1943) oder praktischer Rat („Karpfen polnisch: Man töte den Karpfen...“): Das deutsche Kochbuch ist Spiegel von Zeiten und ihren Sehnsüchten, von Not und Überfluss. Es erzählt, wie die List den Mangel besiegt und der Mangel den guten Geschmack.

Not und Überfluss, Fresswelle und Ideologie: Alles spiegelt sich in Kochbüchern

Apropos: „Da isses“, rufen Frau Erkens und Frau Erdmann stolz im Chor der Kenntnisreichen. Mit dem Suchen hat es ein bisschen gedauert, nun aber legen sie das Rezept der Maikäfersuppe auf den Tisch. Nein, das ist keine Reise ins finstere Mittelalter, man bereitete sie („pro Teller je 30 Käfer“) noch zu, als in Deutschland schon die Eisenbahn fuhr. Falls empfindsame Leser jetzt denken, das kriege man nie und nimmer runter, entwarnen wir: „Die Flügel werden vorher entfernt“.

Erst entstanden Kochbücher nur in der Elite, um Wissen zu sichern. Nahte der Tod heran, galt es dem höfischen Koch oder Klosterbruder die Rezeptur abzulauschen. Doch so selten wie der Koch schreiben konnte, so rar war der kochende Schreiber. Übermittlungsfehler gehörten zu den Anfängen des Genres wie später politische Suggestion: „Dein Kochlöffel wird zum Zauberstab“, aufgelegt im Zweiten Weltkrieg. Oder jene Sittenmalerei der Rollenverteilung des Jahres 1958: Im Kochbuch „Ein Junggeselle bittet zu Tisch“, bestelle der Mann erst die Putzfrau, dann öffne er Dose um Dose.

Überhaupt: „Männer kommen oft auf die gewagtesten Zusammensetzungen. Diese Genialität kostet mehr als der Haushalt üblicherweise verträgt.“ Lief einem angesichts solcher Eskapaden dauerhaft die Frau weg, war dafür ebenfalls ein eigenes Kochbuch zur Stelle: „Wir schaffen’s auch allein“.

Wir haben uns festgelesen. 14 Uhr! Für heute schließt Frau Ophoven zu. Sie war übrigens Jahrzehnte Richterin, was sie dem heutigen Amt gar nicht unähnlich findet: „Man muss ja vor allem wissen, wo man die Sachen nachlesen kann.“

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Die Kochbuch-Bibliothek ist jeden Mittwoch von 10-14h geöffnet: Berswordt-Halle, Kleppingstraße 37, Dortmund,
0231-50 25 742.