Bochum. . Das Bochumer Schauspielhaus bringt Lars von Triers Film „Melancholia“ auf die Bühne. Und die Hochzeitsgesellschaft spricht dazu im Chor.

Wie bringt man den Weltuntergang ins Theater? Mit dieser Frage scheint Regisseurin Johanna Wehner bei ihrer Adaption der schwermütigen Kino-Apokalypse „Melancholia“ mächtig gerungen zu haben. Ihr Trick: Überwältigung. Mit dem geschickten Einsatz Dutzender Scheinwerfer taucht sie beim Eintreffen des Planeten das komplette Bochumer Schauspielhaus minutenlang in gleißendes Licht – und tut nebenbei alles, um den schier übermächtigen Fußstapfen der Filmvorlage so gut wie möglich zu entkommen. Gelingen mag ihr das nicht immer, bisweilen schleppt sich die Aufführung merklich dahin. Doch vor allem das hellwache Ensemble und ein beeindruckendes Bühnenbild heben das Drama zu einem nicht ganz runden, aber sehenswerten Theaterabend.

Gefährliche Distanz

Dabei darf man nicht vergessen: Auch Lars von Triers schnell unter Meisterwerk-Verdacht geratener Film aus dem Jahr 2011 ist ein sperriger Brocken. Mit Wackelkamera und Wagner-Klassik zeigt er darin das schwer zu Herzen gehende Schicksal der jungen Justine, die es fertig bringt, während der eigenen Hochzeitsnacht ihre gutbürgerliche, aber entsetzlich langweilige Existenz komplett an die Wand zu fahren. Der Planet „Melancholia“, der währenddessen auf die Erde zurast und schließlich für ihren scheppernden Garaus sorgt, darf auch als Ausdruck für Justines tiefe Depression gedeutet werden.

Warum sich bislang noch kein Theater daran getraut hat, von Triers Endzeit-Tragödie auf die Bühne zu bringen, wird während des zweistündigen Spiels offensichtlich: Schwer scheint es, das rissige Gesellschaftsporträt einerseits und das größenwahnsinnige Katastrophen-Spektakel andererseits auf der Bühne sinnvoll zu vereinen.

Weil Johanna Wehner keine Nahaufnahmen zur Verfügung stehen, entwickelt sie zu ihren Figuren eine gefährliche Distanz. In dichtem Nebel und bei Gegenlicht sind sie oftmals kaum zu erkennen. Nicht selten irrlichtern sie im hintersten Teil der Bühne umher, was dazu führt, dass auch das Publikum in jeder Hinsicht wenig Nähe zu ihnen entwickelt. Das war bei von Triers weitaus leidenschaftlicherem Film ganz anders.

Erstklassig: Kristina Peters

Passend zum Untergang hat Volker Hintermeier eine Bühne gebaut, in der das Ende der Welt längst besiegelt ist. Eine riesige zerfetzte Kugel, dem „Todesstern“ nicht unähnlich, dreht ihre Kreise, während weiße Leuchtstäbe die Szenerie in unwirkliches Licht tauchen. Ähnlich geisterhaft wirkt die oberflächliche Hochzeitsgesellschaft: Johanna Wehner, die für ihre „Orestie“-Inszenierung in Kassel 2017 den renommieren Theaterpreis „Der Faust“ erhielt, lässt sie oft chorisch auftreten und mit ihren stets wiederkehrenden Phrasen die Braut Justine bis weit über den Rand der Verzweiflung treiben.

Ehrlich freuen mag man sich mit Schauspielerin Kristina Peters. In den letzten Jahren oft in (pointiert gespielten) Nebenrollen versteckt, gelingt ihr als Justine nun endlich der große Auftritt. Fast scheint es, als lösche sie ihre Figur aus, als würde sie in dem riesigen Hochzeitskleid Stück für Stück verschwinden, bis nur noch eine Hülle übrig ist. Das ist erstklassig gespielt. In schierer Verzweiflung dagegen hält die starke Johanna Eiworth als ältere Schwester Claire, die vehement ein diffuses Glück einfordert, zu dessen Empfinden Justine längst die Energie fehlt.

Wie oft bei Lars von Trier spielen die Männer keine große Rolle und sind eher dazu da, das Leid der weiblichen Zentralfigur ins Unermessliche zu treiben. Matthias Eberle als Justines Bräutigam Michael beschwört die Liebe als letzten Funken Hoffnung herauf, während Michael Kamp als wohlhabender Schwager John nicht müde wird, zu betonen, wie teuer die ganze Party bloß ist. Einmal mehr ist es der wunderbare Heiner Stadelmann, der als Justines Vater mit zarter Schlichtheit so manche Szene überragt.