Herne. . Zu schön, um nicht wahr zu sein: Hernes Archäologie-Museum ehrt Irrtümer und Fälschungen seiner Disziplin mit einer eigenen Ausstellung
Vor 350 Jahren war endlich bewiesen, dass es das Einhorn gab. Antike Quellen hatten das Tier beschrieben, hatten auch erwähnt, warum es ausstarb (es hatte die Arche Noah verpasst), doch nun, 1663, hatte man in Quedlinburg endlich auch die passenden Knochen und Zähne gefunden. Voilà, das Einhorn!
Gottfried Wilhelm Leibniz machte aus den Funden die weltweit erste Rekonstruktionszeichnung eines ausgestorbenen Wirbeltiers überhaupt, für 150 Jahre war das der Stand der wissenschaftlichen Dinge. Bis die Forschung sich überholte: Die Knochen, fand sie nun heraus, gehörten in Wahrheit zu diesen neumodischen Mammuts, und das vermeintliche Horn war der Zahn eines Narwals. Das war das Aus fürs Einhorn, wenn auch nur in der Wirklichkeit, denn als Plüschtier, Buch- und Filmfigur, Werbeträger und Mädchenschwarm ist es nicht auszurotten.
200 mehr oder weniger echte Exponate
Das Modell-Skelett der Leibnizschen Rekonstruktion aber ist von morgen an im Archäologie-Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Herne zu sehen. Dann eröffnet die Ausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“. Es geht um spektakuläre Fehlurteile, aber auch Betrugsfälle aus ganz Europa, und das auf der Basis von rund 200 mehr oder weniger – meist weniger – echten Exponaten.
So soll gezeigt werden, dass Archäologen und Historiker sich aufgrund lückenhafter Überlieferungen der Wahrheit immer nur annähern können. Oder in den grundsätzlichen Worten von Museumsdirektor Josef Mühlenbrock: „Was man nicht erklären kann, sieht man stets als kultisch an.“
Die Original-Fälschung ist selbst kostbar
Dabei ist es oft nicht einfach mit richtig oder falsch. So gab der Pariser Louvre in völliger Unterschätzung des Datums am 1. April 1896 bekannt, dass er gegen große Konkurrenz und für unvorstellbare 200 000 Francs die goldene Krone des Skythen-Königs Saitaphernes gekauft hatte – ein Triumph! Fortan entwickelte sich ein Lehrstück, wie seriöse Wissenschaftler zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Archäologe eins: „Wir wissen nicht, was wir mehr bewundern sollen: den frischen Zustand, in dem das Kunstwerk auf uns gekommen ist, die Qualität seiner Komposition oder die historische Bedeutung.“ Archäologe zwei: „Mit Widerstreben ergreife ich noch einmal das Wort über diese widerwärtige Fälschung, deren Stillosigkeit mir Ekel erregt.“ Und jetzt?
Wendung eins: 1903 kommt ans Licht, dass zwei Betrüger den russischen Goldschmied Israel Ruchomowski beauftragt haben, die Tiara anzufertigen. Wendung zwei: Weil man ihm nicht glaubt, muss er die Tiara aus dem Gedächtnis nochmals schmieden – was mühelos gelingt. Wendung drei: Wegen dieser Geschichte ist das Original der Fälschung selbst in den Rang eines kostbaren Exponats aufgestiegen, gilt in Herne als ein Höhepunkt.
Die Hitler-Tagebücher und der älteste Westfale
Viele solcher Geschichten erzählt die Ausstellung. Die Hitler-Tagebücher sind ebenso Thema wie der vorübergehend älteste Westfale: Die Schädeldecke war datiert auf 27 000 vor Christus – bis herauskam, dass sie doch geringfügig jünger war, von 1760. Oder der Fall des Maurers Michael Kauffmann aus Rheinzabern, der massenhaft römische Reliefs nachmachte: Als Zweifel aufkamen, inszenierte er Ausgrabungen auf Feldern, auf denen er zuvor seine Fälschungen vergraben hatte.
Inwieweit Museen auch heute noch Betrügern aufsitzen, steht dahin. „Sie haben heute alle so geringe Ankaufetats, dass nichts mehr passiert“, sagt die LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger. Vor jedem Ankauf gebe es „zwei bis drei Gutachten. Schnelle Deals gibt es heute nicht mehr.“ Völlig unklar ist dagegen, wie viele Stücke seit langem in Museen hängen, die unbekannterweise falsch sind – und daher weiter ein unbehelligtes Dasein als angesehenes Fundstück führen können.
„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, bis 9. September, LWL-Museum für Archäologie Herne, Europaplatz.
Geöffnet: Di-Fr 9-17 Uhr, Do bis 19 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt: 5 €, erm. 3 €, Familien 11 €. Katalog: 352 S., 430 Abb., 29,90 €.