Wien. . Fast 50 Jahre war Christa Ludwig eine der großen Opernsängerinnen der Welt. Nun wird sie 90. Ein Gespräch über Ängste, Pflichten und „Me Too“.

So recht Frühling vor den Toren Wiens will es nicht werden. „Und wenn der Pascha nicht raus mag, dann muss ich das auch nicht. Ich bin heut’ faul“, sagt Christa Ludwig. Pascha ist ein eigenwilliger Kater, Christa Ludwig war fast fünf Jahrzehnte eine der größten Mezzosopranistinnen der Welt. Am 16. März wird sie 90, Lars von der Gönna sprach mit ihr.

Faul sein zu dürfen, ist das der größte Luxus nach einer Karriere von Wien bis zur „Met“?

Ludwig: Ich denk’ mir: Ich habe das Recht, faul zu sein nach so langem Leben in völliger Disziplin.

Eine Disziplin, die ihren Sohn sagen ließ, er habe eine „pfiffige Mutter“: Ein Pfiff bedeutete ja, zwei nein. Sie sprachen zu Hause der Stimme wegen fast gar nicht mit den Lieben.

Nicht sprechen, nicht erkälten! Ich weiß noch: Es war Dezember, als ich meinen letzten Schrei in der Wiener Oper gemacht hatte. Es schneite, es war eiskalt. Ich ging im offenen Mantel auf die Straße: Ich wollte mich in Ruhe erkälten – bis heute habe ich mich nicht erkältet.

Fühlen Sie sich durch die Kunst entlohnt für manchen Verzicht?

Ach, durch die Kunst? Ich weiß nicht. Es ist eine Berufung, die Beruf wird. Man macht das einfach. Wenn man anfängt zu denken, warum man als Sängerin ewig auf Flughäfen oder in Hotels hockt, dann muss man aufhören.

Haben Sie Ihr Riesentalent als Auftrag verstanden?

Absolut. Talent ist einem ja einfach geschenkt. Dass man mit sehr viel Arbeit daraus etwas macht, das halte ich für unsere Pflicht – alles andere wäre eine Schande der Schöpfung gegenüber.

Sie haben gern Rollen gesungen, die Grenzgänge waren...

Hürden zu überspringen, das hat mich einfach lebenslang gereizt. Wenn alles so glatt ging, dann fand ich das schnell langweilig.

Sie nahmen die Hürden grandios, aber der Preis dafür war ein hauchdünnes Nervenkostüm...

So war es, bei „Fidelio“ vor allem. Acht Valium habe ich einmal vor einer Vorstellung genommen. Jeder wär’ da im Stehen eingeschlafen. Bei mir? Nichts! Da sehen Sie: Es ist eine Sache des Kopfes.

Ist Singen eine Droge?

Ich bin mal in Hollywood aufgetreten, da sagte ein junger Student – so einer mit Zopf, das war damals noch was Besonderes – zu mir: „Sie brauchen keine Drogen, Sie singen als wären Sie ,high’!“

Ist man in einer anderen Welt, wenn die Stimme voll aufdreht? Ist das eine Droge oder gar Erotik?

Über ein 100-Mann-Orchester drüberzuschreien, das kann schöner sein als Liebe machen (lacht).

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Gehört Lust am Exhibitionismus zum Operngesang dazu?

Aber klar, man will doch gefallen! Das hat jeder, der auf die Bühne geht. Man singt ja fürs Publikum.

Darf ich Sie nach der „#MeToo-Debatte“ fragen, Frau Ludwig?

Die hässlichen Frauen sagen: „Och, bitte, me too!“ Das alles ist so ein Quatsch. Dass 40 Jahre später einer den James Levine anklagt und der nun nicht mehr dirigieren darf, das ist eine Hexenjagd. Wissen Sie, die Besetzungscouch ist so alt wie das Theater. Jede junge Frau hat das erlebt. Dann sagt man eben: „Geh’, lass es bleiben!“ Aber es gab eben, auch in der Filmwelt, Frauen, die unbedingt die Rolle wollten.

Sie sind Weltstar geworden ohne Konservatorium. Nur Ihre Mutter, eine Opernsängerin, hat Sie ausgebildet. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie Gesangsabsolventen heute sehen?

Mein Eindruck ist leider, dass sie gleichförmig singen. So wie die Mädchen alle gleich aussehen: alle sind sie schlank, alle habe lange Haare, die Nase ist gerichtet. Das mögen auf den ersten Blick Sänger ohne Fehler sein, aber es ist eben auch schrecklich uniform.

War das früher anders?

Uniform waren wir nicht. Große Sänger leben von ihren Fehlern! Das macht sie, neben ihrem Timbre, unverkennbar: Maria Callas, Jon Vickers – gewiss nicht perfekt, aber einzigartig. Klar, dazu muss man schon was zu bieten haben. Fehler allein reicht nicht (lacht).

Ihr Kollege Rene Kollo, 80 Jahre alt, hat neulich gesagt, er könne immer noch eine ganze „Walküre“ singen, es frage nur niemand an.

Jaja, so sind sie, die Tenöre (lacht). Ich bin froh, dass ich nicht mehr singe. Es fällt so vieles von einem ab. Das Ende des Singens ist für manche Sänger fast das Ende des Lebens. Nicht für mich. Ich halte es mit Rilke: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“.

Hören Sie Ihre Aufnahmen?

Nein, gar nicht. Aber bei Ehrungen wie sie jetzt anstehen, muss man sich ja mitunter von der CD hören. Da denk ich dann: Christa, du hast doch ganz schön gesungen.