Dortmund. . Kay Voges macht Bernhards „Theatermacher“ auch zu einem Stück über sich und seine Dortmunder Bühnenkünste.

Läge das finsterste Tal dramatischer Provinz in Dortmund, dann müsste die Wutrede des Künstlers also „Westfalen“ gelten, „der Bürgermeister samt Gatte“ würde begrüßt, erst recht das tumbe Publikum und dann „Hörde!“, mein Gott. Das Tal liegt in Dortmund, seit Samstag. Kay Voges inszeniert Thomas Bernhard: „Der Theatermacher“.

Und fast wären wir Voges auf den Leim gegangen, dass er den Schafspelz verbindlicher Autorenpflege einen ganzen Abend trägt: Es ist ja hier wie im Bilderbuch, wenn auch gespickt mit kleinen Gemeinheiten aus dem Intendantenleben an der Kuhstraße, wo der Saal des Wirtshauses (Bühne: Daniel Roskamp) samt Schubkarre und Estrichboden die ewige Baustelle ist, unter der das Ensemble lange genug leiden musste. Wo man sich vor der Film-Ikone Adolf Winkelmann verneigt (er sitzt tatsächlich im Parkett) und wo (als Gruß an die nächste Premiere im Opernhaus gleich nebenan) „Nabucco“ posaunt statt der guten alten „Macht des Schicksals“.

Gebellte Wut, freundliche Heimtücke

Aber sonst? Als sei 33 Jahre nach Peymanns Uraufführung ein Theaterhistörchen fällig: abgehalfterter Staatsschauspieler Bruscon im Nadelstreif auf Tournee, die missratenen Kinder eskortieren, die morgenberockte Gattin hustet. Hier sind sie am Ende gelandet, in Dortmund, also Utzbach, das größte Stück der Welt im Gepäck, das „Rad der Geschichte“. Bruscons Weltkomödie, in den Hauptrollen Lady Churchill und Napoleon, Hitler und Madame Curie, muss über die Rampe! Aber in Utzbach ist Blutwursttag, und der für Bühnensicherheit zuständige Feuerwehrhauptmann ist abgereist…

Der Theatermacher ist Andreas Beck: massig und massiv wie ein paar berühmte Bruscons (Hamel, Wildgruber, Buhre) vor ihm. Die gebellte Wut, die freundliche Heimtücke, der egozentrische Exzess – all das bedient Beck mit bösem Charme. Freilich fehlt vorerst der Abgrund. So sehr lässt Voges ihn durch Bernhards (in Dortmund sehr unglücklich gekürzte) Wutrede galoppieren, dass Bruscons Schattenwelten, Depression und Selbstzerstörung, kaum erahnt werden können. Aber vielleicht störten sie auch bei dem, was kommt. Fort mit dem Schafspelz, Voges naht.

Ein Stück in Auflösung

Hatte man eingangs noch nicht die Ziffern von 1 bis 9 am oberen Bühnenrahmen entdeckt, sie zeigen spätestens ihren Sinn, als es auf „2“ springt und Voges alles von vorn losgehen lässt, Auftritt Theatermacher, Dortmunder Suada, Blutwursttag… Erst sachte Verschiebungen (Bruscons Sohn wird von Mal zu Mal mehr eingegipst), mit steigender Zahl aber ein Stück in Auflösung. Rollen wandern, Bernhards Geschichte kommt: unters Rad. Bruscon ist plötzlich der Gastwirt, Goebbels und Günter Schabowski sabbeln dazwischen, später wird das vertraute Hitler-Bild im Gasthofe Alice Schwarzer zeigen, es gibt ein Dieselverbot, und die bekannten Anreicherungen des Regisseurs und Schauspielintendanten (Kein Voges ohne „F…tze“) versetzen uns in den Drehschwindel der Erkenntnis, dass die vom Text beschworene „Theaterkerkerhaft“ nichts anderes ist als Voges‘ Aufenthalt in Dortmund.

So sausen die Künste des Hausherrn vorüber, pausenlose 160 Minuten lang. Bernhards Theatermacher ist Punk-Operette, Bad Taste im Showspielhaus, todgeweihte Nummernrevue und reichlich Selbst-Zitat: Wie der Berg Beck und der ultrazarte Uwe Rohbeck (vom Wirt zum tuntig Tobenden aufgestiegen) sich duellieren, da kitzelt Voges seinen Gaumen so gekonnt wie bewährt (jeder denkt an seine „39 Stufen“) mit Slapstick und Klamauk. Das Ensemble setzt diese Intendantenfreuden virtuos um. Dass es das Wahnwitzige unendlich viel besser beherrscht als das Wahrhaftige, es ist ja so gewollt.

So ist dieser lange, mal putzige, mal quälend bemühte Bernhard-Abend alles, bloß nichts Überraschendes, sondern ein Gang ans Eingemachte, die abonnierte Dortmunder Avantgarde. Im Vollzug zu bestaunen: Der Weg vom Theatermacher zum Machertheater.

Der Theatermacher:Schauspiel Dortmund. Karten (9-23€) unter 0231-5027222. Termine im März: 7. und 31., im April: 11., 14., 15. Weitere Termine bis zum Sommer.