Essen. . Krupp und Kohle opernreif. Essens Aalto-Theater gräbt Hinrich Maschners „Hans Heiling“ aus und erzählt damit Familiengeschichten aus dem Pott.

Was könnte die ernste Musik zum Ende des Bergbaus anderes bereithalten als eine Totenmesse? Überraschung: eine Oper! Da singt doch tatsächlich Bertha Krupp – Wasserwelle, Perlenstrang – aus dem Schattenreich der Villa Hügel ins Parkett hinein. Samstag hatte „Hans Heiling“ am Aalto-Theater Premiere. Eine fast vergessene Geisteroper als Abgesang auf eine Industrie.

Bertha Krupp als mächtige Königin

Die schroffe 1:1-Übertragung, von der Regisseur Andreas Baesler üppige Dreieinviertelstunden nicht ablässt, ersetzt das alte Sagenmotiv durch einen Mythos des Reviers: Krupp. Heiling ist in Heinrich Marschners selten gespielter Oper Prinz der Erdgeister, er liebt ein Bauernmädchen. Hans sagt seiner mächtigen Mutter und dem Reichtum der Schächte Lebewohl, aber er wird, voller Rachegelüste, scheitern am Leben der Sterblichen. Baesler übersetzt -- und macht aus der mächtigen Königin Bertha Krupp, aus Hans Heiling jenen Alfried, der die Wut des Clans auf sich zog, als er 1937 Anneliese Lampert heiratet. Anna ist hier freilich keine geschiedene Kaufmannstochter, sondern ein Kind des Kohlenpotts, die Mutter der Halbwaisen liebt Eierlikör und Straßenfeger mit Blacky Fuchsberger ...

Harald Thors überragend starkem Bühnenbild entzieht man sich nicht leicht. Er ersann eine Flut der Räume, famos umgesetzt von den Werkstätten des Opernhauses. Das beginnt in der monströsen Eichenmajestät der Villa Hügel und endet in der jammervollen Enge einer Witwenwohnung. Der szenische Bilderbogen salbt Nostalgikerseelen: mit Lohnhalle, Streb und – als Essener Nachfolger romantischer Wälder – dem alten „Blumenhof“ der Gruga. Es prasselt visuelle Regionalhistorie, detailversessen bis zu Alfrieds Schallplattenfimmel. Und wenn die Ouvertüre ihre Schicksalsvolten schlägt, sausen Aufstieg und Niedergang des Schwarzen Goldes im filmischen Zeitraffer vorbei.

Zweifellos: Baeslers Konzept klopft (das Bergwerksorchester Consolidation macht feste mit) so wuchtig an unsere patriotische Herzkammer, dass man schwer widerstehen kann. Doch der Regisseur überzieht, verrennt sich, verunglimpft. Es sind peinliche Momente, wenn er die Rezitative vertegtmeiert. Da hagelt es „Schickermoos“, da „isset häärlich“, da wird die Heilige Barbara aufgefahren und – unerträglich platt – eine ganze Arie mit Pütt-Klischees übertextet. Statt sein Jägerständchen zu schmettern, muss ein Festgast von Karnickel, Blagen und Taubenschlag trällern. Die Verneigung vor einer Region kippt Richtung Anbiederungs-Orgie, die zudem ein herber Deutungsfehler plagt. Bei Marschner sind es die Kobolde aus dem Bergwerk, die Heilings Racheakt auf die einfache Welt der Menschen schüren, bei Baesler Bergleute. Deren Solidarität aber würde nie den Bonzen einem Arbeitermädchen vorziehen.

Experimentierfarbige Partitur

Der Würgegriff, in den uns Baeslers monoperspektivische Deutung nimmt, droht das Ohr für Marschner zu schwächen. Ungerecht wäre das. Die Oper (1833 uraufgeführt) mag heute etwas für Orchideensammler sein, eine Schatzkammer ist die äußerst experimentierfarbige Partitur zweifellos. Dvorak mauste für die „Neue Welt“, und im Sorgenlied der alten Mutter, scheint bereits 40 Jahre vor Wagners „Walküre“ Hundings Meute anzuschlagen. Essens Philharmoniker erkunden diesen Kosmos mit hellwachem Pioniergeist, in den Holzbläsern wundervoll sanglich ausgestaltet. Frank Beermann am Pult hält den Abend souverän in Form, etwas mehr Glanz und Offenheit im großen Ton könnte sein Dirigat vertragen.

Mit Heiko Trinsingers Heiling wird ein Bariton mit fabelhaft schlanken Höhen gefeiert, Jessica Muirhead (Anna) ist in der romantischen Mädchenpartie eine Idealbesetzung. Jeffrey Dowd fordern die lyrischen Höhen hörbar. Eine Enttäuschung: Rebecca Teems einfarbig orgelnde Geisterkönigin. Außergewöhnlich präsent: der Chor.

Langer Applaus, etwas Bravo, etwas Buh. Vielleicht gar herzgewärmte Dankbarkeit: Das Aalto lässt auf eine tote Industrie musiktheatralischen Goldstaub rieseln. Glückauf, der Geiger kommt.