Düsseldorf. . Shakespeares Stück vom Juden als Außenseiter macht das Inszenieren zum Kunststück. „Der Kaufmann von Venedig“ hatte jetzt in Düsseldorf Premiere.

Es ist ein Leid mit der Menschheit: Gerechtigkeit erfahren die, die in der ersten Reihe stehen. Die Welt stellt ihre Schranken auf, wer anders ist, wird ausgegrenzt. Als Shakespeare dem Publikum seine Komödie „Der Kaufmann von Venedig“ präsentierte, lagen die Massenmorde der Nazis noch in weiter Ferne. Dennoch: Juden waren per Gesetz aus England verbannt, man hasste sie aus diffusen religiösen und wirtschaftlichen Gründen. Heute ist die Inszenierung des derben Textes ein Wagnis. Roger Vontobel versucht sich als Hausregisseur des Düsseldorfer Schauspielhauses daran: ein unterhaltsamer Abend mit wenig Standpunkt, aber viel guter Musik.

Wobei wir beim ersten Glücksgriff wären: dem irischen Musiker Keith O’Brian, künstlerischer Weggefährte Vontobels. Für den Düsseldorfer „Kaufmann“ hat er einen fabelhaften düster-dramatischen Soundtrack mit Gesang geschaffen, den Matthias Luckey als doppelgesichtiger Diener Lanzelot Gobbo mit seinem Falsett auf die Spitze treibt, in Form gezupft von O’Brian und Jan-Sebastian Weichsel an Gitarre und Kontrabass. Das bringt Schwung ins Spiel. Als Jessica, die Tochter des Juden (Lou Strenger), sich in einem jiddischen Lied in Trance tanzt und dabei wie ein Derwisch von der Bühne kreiselt, erhält die junge Frau mit der schönen Stimme verdienten Szenenapplaus.

Burghart Klaußner spielt in Düsseldorf den Shylock in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“

Der zweite Glücksgriff heißt Burghart Klaußner. Auch mit ihm hat die Regie alles richtig gemacht. Klaußner spielt den Juden Shylock. Dieser, der Außenseiter, wird übel beschimpft, bedroht, bespuckt und geächtet. Jetzt wittert er die große Chance. Als Kaufmann Antonio (Andreas Grothgar) ihn um ein Darlehen für die Brautwerbung eines Freundes bittet, sinnt er auf Rache. Er gewährt das Darlehen - falls er das Geld jedoch nicht zurückerhalten sollte, fordert er ein Pfund von Antonios Fleisch, dem Herzen am nächsten gelegen.

Klaußner, mit Hut und altmodischem Anzug, ist der stille Mittelpunkt der Inszenierung. Er erdet die schwere Rolle, gibt ihr Gelassenheit, Größe, Verletztheit, ganz leise passiert das, großartig. Anrührende Freudentänzchen wechseln sich ab mit leisem Hass und eisiger Strenge, die der geliebten Tochter Jessica gilt.

Dieser Shylock ist ein Mensch. Und so kann man gut nachvollziehen, dass so einer es allen heimzahlen will, jetzt, wo sie ihn brauchen: „Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? ... Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“, heißt es im berühmten Monolog. Ähnlich einnehmend: Minna Wündrich als hochmütige Portia, Tochter aus reichem Hause, die ihren Verehrern alberne Spielchen auferlegt. Später wird sie als Richterin ausgefuchst und trickreich über Shylock Schicksal entscheiden. Er darf das Fleisch des bankrott gegangenen Alfonso herausschneiden, dabei jedoch keinen Tropfen Blut vergießen. Als gebrochener Mann verlässt der Jude das Gericht.

Trotz Glamour und guter Spieler: Regisseur Vontobel glückt in Düsseldorf kein wirklich guter Abend

Bis dahin plätschert die Erzählung daher, mal flott, mal weniger flott, nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut, über drei Stunden lang, verpackt in viel Glitter auf einem mit Neonschrift übertitelten Podest („This is Venice“). In guten Momenten ahnt man die schwarze Moritat: Hier die machohaft-pöbelnden, selbstgerechten Christen mit ihren Kreuzen über den Hemden, wie sie den Juden beschimpfen – da der ernste, bittere Shylock mit seiner Düsternis und seinen Riten. Und trotzdem. Am Ende bekommt Vontobel die Kurve nicht. Als sich alles in Wohlgefallen auflöst, die Paare beieinander stehen, der Jude allein – überwiegt dann doch das Unbehagen: Ende gut, alles gut?

Das darf ja wohl nicht wahr sein.