Hagen. Die Zutaten für diese Filmkritik lagen ja praktisch vor uns. Auf seine Weise war das – filmmoralisch zumindest – ein Debüt!: Der Weg vom Pranger führte direkt hinein in die gute Stube des Cutters. Er griff zum Messer: Ein Star, Kevin Spacey (58), ward herausgeschnitten, ein neuer, Christopher Plummer (88!), aus dem Hut gezogen.

Die Zutaten für diese Filmkritik lagen ja praktisch vor uns. Auf seine Weise war das – filmmoralisch zumindest – ein Debüt!: Der Weg vom Pranger führte direkt hinein in die gute Stube des Cutters. Er griff zum Messer: Ein Star, Kevin Spacey (58), ward herausgeschnitten, ein neuer, Christopher Plummer (88!), aus dem Hut gezogen.

So denkt man sich das. Vorher. Im Kino aber hat man nach ein paar Minuten vergessen, wie gern man diese bizarre Geschichte durchbuchstabiert hätte, mal mit den Vokabeln vorauseilenden Hollywood-Gehorsams politischer Korrektheit, mal mit großer rhetorischen Vermissensgeste Richtung Spacey. Tatsächlich aber legt Ridley Scott (80) mit seinem Blick auf die Entführung von Paul Getty III einfach derart brillantes Kino vor, dass man all das schlicht vergisst.

Die Gauner recherchieren schlecht

„Alles Geld der Welt“ ist zunächst ein Film über einen der spektakulärsten Kidnapping-Fälle des 20. Jahrhunderts. Souverän bedient Scott diese Ebene, deftig angethrillt, raffiniert die Schauplätze als düstere Echos der jeweils anderen Seite inszenierend. Der hübsche Enkel des reichsten Mannes der Welt wird entführt. Die kalabrische Mafia hat nicht den geringsten Zweifel, dass Opa zahlen wird: 17 Millionen Dollar! Der alte, unermessliche Schätze hortende Getty residiert ja wie ein König. Die Gauner haben schlecht recherchiert. Tatsächlich hat Getty an der Stelle, wo andere ihr Herz haben, bloß einen Tresor. Für Gäste seiner Landgüter baut er Münzfernsprecher ein, Wäsche zieht er auf Reisen selbst durch die Lauge. Man hat’s ja nicht vom ausgeben.

Diese Tragödie, die den Enkel ein Ohr kosten wird und dauerhaft Verstand und Gesundheit, ist vordergründig das alles Bestimmende der 132 Minuten (20 davon zu viel, aber das ist Klagen auf höchstem Niveau) zu sein. Tatsächlich kostet Scott mit diesen von Darius Wolski zwischen grabeskalten Herrensitzen und stinkenden Ekel-Verliesen der Ndrangheta hinreißend fotografierten Bildern hochmoralisch aufgeladene Variationen zum Thema Kapitalismus aus. Zwar lässt Scott seinen Plot nie schleifen: Doch beschert das lustvollste Zuschauen nicht der Fall, es sind die Zustände, die maßloser Reichtum hervorzubringen pflegt.

„Waffen sind was für Leute ohne Geld“: Es hagelt solche Sätze in David Scarpas Drehbuch: Historisches Zitat legiert mit garstiger, die Realität satt manipulierender Fantasie, schwarzen Komödien beklemmend nah. Sie findet ihren Meister im greisen Ersatzmann Plummer. Spacey musste man zum alten ­Geldsack schminken. Plummer ist älter als der echte Getty es damals war, beschenkt mit der Präsenz des Monsters in Tweed. Das ist ein zum Süchtigwerden starkes Zeugnis von monumentalem Minimalimus: in Mammon versteinert hier, tückisch leutselig dort. Plummer zelebriert physisch Gettys Logik einer ­Weltsicht, die jedes Phänomen in Soll und Haben unterteilt. Auch ­Lösegeld müsste doch absetzbar sein...

Herausragende Filmmusik

Dieses Schauspiel-Ereignis (Mark Wahlberg als Gettys Unterhändler liefert dagegen eine mimische Nullrunde), dazu die köstlich-düstere 70er-Ausstattung, vor allem das hartnäckige Kreisen um eine Grundverdorbenheit mit der Botschaft „Eigentum vernichtet“ bilden einen großen Film. Dass er mit Daniel Pembertons zitatensatter Sinfonie-Eskorte (mal im ironischen Dreivierteltakt, dann verlogen gottgefällig) einen der besten Soundtracks des Jahrzehnts im Gepäck hat, sei nicht verschwiegen.