Essen. . Das Publikum ist begeistert: Tschaikowskys ewiger Ballett-Klassiker in einer gekonnten klassischen Inszenierung Essener Aalto-Theater

„Ach, wie schön!“ Schwärmerisches Seufzen hört man bereits in der Pause im voll besetzten Aalto-Opernhaus. Ein „Schwanensee“ wie aus dem Bilderbuch kommt in Zeiten rasanten Umbruchs und der Internet-Revolution gerade recht. Wenn auch eingefleischte Freunde von zeitgenössischer Tanz-Kunst gähnen mögen, der „Schwanensee“ feiert eine Renaissance. Sie hat selbst den Neoklassiker Martin Schläpfer erfasst, der ihn im Juni erstmals an der Rheinoper herausbringen wird. Sicherlich aber anders als in der rein klassischen Deutung, deren Premiere in Essen bejubelt wurde.

Äußerst biegsam und schwebend

Gerade im Aalto, wo Stephan Thoss vor 13 Jahren mit seinem zerlegten und zerrupften ‚Schwanensee’ Furore machte, spürt man: Unverwüstlich bleibt der Zauber des Prinzen Siegfried und dessen Liebe zum keuschen Schwanenmädchen Odette, die sich durch den Zauberer Rotbart in eine dämonische Verführerin verwandelt. Zumal Essens Ballett-Chef Ben van Cauwenbergh sich an die legendäre St. Petersburger Inszenierung und Choreographie von Marius Petipa und Lew Iwanow anlehnt, sie aber mit frischen Farben und Figuren des 21. Jahrhunderts aufpoliert. Und in seiner Kompanie über Tänzer verfügt, die das Zeug haben, in eine romantische Märchenwelt mit strahlend weißen Tütüs und schwebenden Schwänen zu entführen, die aber keinen Staub angesetzt haben.

Die traditionelle, gelungene Inszenierung mit Happy End in romantischer Idylle (Dekor: Dorin Gal) erstaunt; denn Essen ist nicht Paris, New York oder St. Petersburg, deren Ensembles dreimal so groß sind und die über das Geld für 40 Schwäne und Topstars verfügen. Doch 18 in Reih und Glied trippelnde Schwäne haben dieselbe Wirkung, zumal wenn sie geschickt auf der Bühne platziert werden. Und auch Mika Yoneyama als Odette/Odile und Liam Blair als Prinz wirken wie ein jugendliches Traumpaar und überzeugen nicht nur als Darsteller, die stilsicher selbst den weißen (zweiten) Akt meistern.

Ebenso zeigen sich die beiden in den anspruchsvollen großen Variationen auf der Höhe heutiger Danse d’école. Der Australier Liam als Danseur noble durch leichte Sprünge und zahlreiche, sichere Pirouetten, die Japanerin Mika indes muss mit ihren äußerst biegsamen Bewegungen, schwebenden Balancen und extrem hohen Beinpositionen (180 Grad) den Vergleich zu namhaften Primaballerinen unserer Tage nicht scheuen. Auch die Feuerprobe am Ende des Schwarzen-Schwan-Pas-de-deux mit den berühmten 32 Fouettés besteht Yoneyama ohne Einschränkung. Gecoacht wurden sie von der ehemaligen Rheinopern-Primaballerina Monique Janotta, eine Neuheit. Yoneyama hat Janotta auf die zerbrechlichen Schwanenbewegungen eingeschworen. Einzige Einschränkung: Die Verwandlung in den bösen schwarzen Schwan gelingt nur im Ansatz. Dämonie und erotische Verführungskunst deutet Yoneyama lediglich an; so bleibt der dritte Akt jugendfrei.

Großes Kino bietet indes Moisés León Noriga als wirbelnder Magier Rotbart. Und in den akrobatischen Nationaltänzen provozieren einige Solisten, wie Davit Jeyranyan und, Armen Hakobyan, Stürme der Begeisterung. Das Salz in der Suppe sind Essens Philharmoniker. Unter Johannes Witt entfachen sie einen suggestiv glühenden, rauschenden Tschaikowsky-Sound, den man nach dem Verlassen des Opernhauses noch lange im Ohr behält.