Mülheim. Eine Reise durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts schenkt uns die Schau „Heinrich Siepmann“. Sie zeigt den Mülheimer Maler als Suchenden.
Als ich Heinrich Siepmann am Vorabend seines 95. Geburtstages traf, da sagte er: „Sie kommen zu spät wie die anderen auch.“ Es klang leicht verbittert -- und realistisch: Der malende Greis registrierte, dass er als Hochbetagter plötzlich doch noch zur Sehenswürdigkeit geworden war, über den Kreis der Kenner hinaus, die ihm lange zur Seite gestanden hatten, ihn bewunderten, ihn kauften und so im doppelten Sinn unterstützen.
Die Begegnung liegt fast 19 Jahre zurück. Heinrich Siepmann sollte noch malen, bis er 2002 starb. Fast bis zum letzten Atemzug tat er das, am Ende waren es fast ironisch leicht wirkende Collagen. Schicke Einkaufstaschen, die Freunde brachten, gingen in ihnen auf. Konsum wurde zerschnitten: zu Kunst.
„Junger Westen“: Der Mülheimer Maler Heinrich Siepmann war erster Preisträger
Die Stadt, in der Siepmann geboren wurde und in der er starb, widmet ihm eine große, eine starke Schau. Eigentlich ist sie der Schlusspunkt eines Ausstellungsreigens, der seit dem letzten Jahr von Recklinghausen über Bochum bis Witten an Werk und Wirken der Künstler des „Jungen Westen“ erinnert. „Heinrich Siepmann. Gemälde“ schenkt allem voran aber Kundigen wie schlicht neugierigen Betrachtern eines: Eine Reise durch die Kunst des 20. Jahrhunderts – aus dem Atelier eines Einzigen. Ohne zu sagen, ob es Schwäche aus Unsicherheit war oder jene Stärke, die keiner Starrheit unterliegt: Es schwindelt einen fast, wie häufig, entschieden, gekonnt (wenn auch nicht selten in Nachfolge der Großen) Heinrich Siepmann sich auf der Leinwand häutete. Der gelernte Dreher, dem weder Essens Folkwangschule noch später die Nürnberger Akademie zur befriedigenden Heimat wurde, wanderte suchend ein Leben lang, Post-Impressionismus, Tachismus, Informel...
Denen, die ihn im Alter bestaunten, sind vorwiegend die geometrischen Arbeiten präsent: extrem reduziert, klar geführt, raffiniert ausbalanciert in der Kargheit von Raum, Fläche, Farbe, Konzept.
Nicht weniger bannt das ältere Werk. Das „Stillleben mit Nussknacker“ etwa (1947), in dem nichts Heimeliges regiert, sondern ein von vernichtendem Feuer getriebenes Licht die Figuren in etwas bös Soldateskes taucht. Es brachte Siepmann den 1948 erstmals ausgelobten Kunstpreis Junger Westen ein – er teilte die 1000 Mark; einer der drei anderen ausgezeichneten Weggefährten war Emil Schumacher.
Emil Schumacher war ein Weggefährte, Heinrich Siepmann selbst erstarrte nie in einem Stil
Die Schrecken der Front spiegelt 1945 Siepmanns „Selbstbildnis mit rauchendem Totenkopf“ – es erfasst unverhohlen das unweigerlich Janusköpfige eines Neubeginns, der die Schrecken von Tod und Vernichtung nicht abzulegen vermag. Oft grüßte Siepmann die Meister. Wie eine Verneigung vor Cezanne begegnet uns sein „Stillleben mit Äpfeln“ (‘47), handwerklich bestechend qualitätsvoll – eine Güte, von der auch die Auftragskopien erzählen, die Siepmann in den 1930ern für Münchens Alte Pinakothek schuf, Breughels „Kopf einer alten Bäuerin“ allen voran.
Wo andere hineingeheimnissten, hat Heinrich Siepmann entwaffnend klar über den Motor gesprochen, der ihn bald 80 Jahre an die Staffelei (auch sie – beeindruckend mächtig, sprechend fast – ist Teil der Ausstellung) trieb: Es war die Suche nach dem Ich. Dem vielgesichtig zu begegnen, ist ein Geschenk dieser Mülheimer Schau.
Bis 15. April. Kunstmuseum Mülheim, Synagogenplatz 1, 0208-4554138