Berlin. . Ein Gespräch mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick über seine Kritiker, über Meutereien, den Fall Weinstein und die Zukunft im Bäckerei-Gewerbe.

Am 15. Februar beginnen die 68. Berliner Filmfestspiele. Seit Mai 2001 leitet Dieter Kosslick (69) die Berlinale. In zwei Jahren läuft sein Vertrag aus. Kritik an seiner Film-Auswahl gab es immer wieder. So massiv wie zum Jahresende fiel sie jedoch noch nie aus: 79 Regisseure forderten in einem offenen Brief ein transparentes Verfahren für die Neubesetzung des Chefpostens. Mittlerweile ruderten etliche der Unterzeichner zurück. Zugleich gab es als Reaktion fast unisono entschiedenes Lob für die Arbeit von Kosslick. Mit dem Festivaldirektor sprach unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Herr Kosslick, die Meuterei auf der Berlinale Bounty scheint gescheitert. Oder täuscht der Eindruck?

Dieter Kosslick: Im Unterschied zur Bounty ist die Berlinale noch vorhanden und nicht gestrandet. Der Kapitän steht keineswegs vor Gericht, sondern ist guter Dinge. Das nächste Festival wird zeigen, dass der Kapitän noch da ist. Ich habe mich schließlich nicht an den Kokosnüssen vergriffen.

Was hat es mit dieser plötzlichen, massiven Kritik auf sich, die 79 Regisseure äußern?

Gebashed, wie man so sagt, wird ja in regelmäßigen Abständen. Zum Teil von denselben Leuten, die das schon mit meinem Vorgänger Moritz de Hadeln gemacht haben. Es war ein Sturm im Wasserglas, aber diesmal mit großen Worten.

Haben Sie die Vorwürfe diverser Kritiker enttäuscht?

Enttäuschend ist vor allem, dass solche Sachen ungeprüft übernommen und zu großen Geschichten aufgebaut werden. Wenn zu lesen war, es habe keine amerikanischen, russischen oder asiatischen Filme auf der Berlinale gegeben, ist das ein Unsinn, der sehr einfach auf unserer Website hätte recherchiert werden können. Unangenehm ist diese Debatte vor allem im Ausland, woher irritierte Anfragen kommen. Niemand versteht diese ganze Aufregung.

Als Reaktion darauf gab es von der versammelten Branche mehr Kosslick-Lob als in Ihrer gesamten Amtszeit. Gleichwohl wollen Sie in Ihrer „Skizze zur Neustrukturierung der Intendanz“ in Zukunft nicht mehr als Präsident einer möglichen Doppelspitze dabei sein?

Ich habe immer gesagt, mein Vertrag ist am 31. Mai 2019 beendet. Aber zum einen weiß ich nicht, wie die Berlinale in Zukunft strukturiert sein wird. Zum anderen werde ich, falls es eine Doppelspitze mit Direktor und Präsidenten geben sollte, keine dieser Funktionen übernehmen.

Gehen Sie also entspannt an die letzten zwei Berlinale-Ausgaben?

Zum einen bin ich sehr entspannt. Zum anderen wirft die weltweite „#MeToo“-Debatte ihre Schatten auch auf das Festival. Es gibt Filme, die zurückgezogen werden oder die wir einfach nicht mehr spielen können. Das ist im Moment ein schwieriges Feld.

Nach den Skandalen um Weinstein und andere: Braucht Hollywood eine Frau­en­beauftragte?

Wenn es danach ginge, was Frauenbeauftragte in Deutschland bislang bewegt haben, sollte man das in Hollywood einführen. Allerdings weiß ich nicht, ob das heute noch die zeitgemäße Form ist. Es gäbe jedenfalls noch viel zu tun. Die Filmindustrie weltweit wird bekanntlich nach wie vor von Männern dominiert. Mit der Debatte im letzten Jahr haben die Frauen immerhin aufgeholt. Die Sensibilität für diese Themen ist größer geworden – und sie werden sicher auch auf der Berlinale diskutiert.

Was bewegt die Bären-Kandidaten 2018 thematisch?

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Viele Filme beschäftigen sich mit Religion. Ein großes Thema ist zudem, wie Menschen Gegenmodelle zu einer Welt entwickeln, die zunehmend apokalyptische Formen angenommen hat. Der Umgang mit Geflüchteten beschäftigt nach wie vor viele Filmemacher. Neben der Politik bietet die Berlinale zugleich viel Fantasy und Unterhaltung, schließlich möchten die Zuschauer im Kino auch einfach mal nur lachen können.

Cannes möchte die Vorab-Vorstellungen für die Medien künftig abschaffen, um mehr Hype zu schaffen. Zudem will man Netflix und Co. vom Festival verbannen. Wie hält es die Berlinale?

Wir bleiben bei unserem System der Pressevorstellungen mit Embargo-Regelungen und setzen darauf, dass sie von den Medien eingehalten werden. Unsere Richtlinien sehen vor, dass Filme von Streaming-Anbietern gezeigt werden können, wenn eine Kino-Auswertung vorgesehen ist. Serienformate von Streaming-Plattformen gibt es bereits seit 2015 bei den „Berlinale Series“.

Weshalb sind Jury-Sitzungen ein Geheimnis-Theater wie die Papst-Wahl? Wäre Transparenz mit einer öffentlichen Sitzung hier nicht ein Bonus für das Publikum?

Diskussionen einer Jury könnten für Außenstehende sicher interessant und spannend sein, aber es wäre ein selbstzerstörerischer Akt, sie öffentlich zu führen.

Zur Berlinale erscheint eine Biografie über Ihren Vorgänger Moritz de Hadeln mit dem Titel „Mister Filmfestival“. Wie würde der Titel einer Dieter Kosslick-Biografie lauten?

„Gute Zeiten. Schlechte Zeiten. Gute Zeiten“! Ich bin froh, dass Moritz de Hadeln sein Buch präsentieren wird. Dann kann man lesen, welchen Wiederholungseffekt es gibt: Was über mich zum Teil geschrieben wird, hat man meinem Vorgänger schon vorgeworfen.

Auf dem Max-Ophüls-Festival läuft der Film „Dieter not unhappy“ – wäre das auch ein Berlinale-Film?

Mit dem Titel würde ich mich auf alle Fälle identifizieren.

Wie sehen Ihre Berufspläne für 2020 aus? Eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnen? Eine Bagel-Bäckerei in Neukölln, bei der Sie Ihre Back-Leidenschaft verwirklichen könnten?

Ich kann mir beides ganz gut vorstellen. Allerdings sollte es in der Bäckerei zum Bagel unbedingt noch Butterbrezeln geben.