Essen. . Ein Künstler mit vielen Gesichtern war Leonard Bernstein (1918-1990). Im Interview erinnert der große US-Bariton Thomas Hampson an ihn.

Noch heute ist Star-Bariton Thomas Hampson dankbar, dass er Leonard Bernstein hat begegnen dürfen. 2018 wäre der große Klassik-Allrounder 100 geworden. Grund für Hampson, ihm in Essens Philharmonie einen Abend zu widmen: „To Lenny with love“. Lars von der Gönna sprach mit Hampson über die schilllernde Persönlichkeit Bernsteins, sein Erbe und einen Hund mit namen Lenny...

Was ist Ihre erste Erinnerung an Leonard Bernstein?

Hampson: Für mich als Amerikaner liegt sie in der Zeit, als ich ein Schulbub war. Ich war weit weg von New York, aber ich saß gebannt vor dem Fernseher und sah wie Leonard Bernstein in der Carnegie Hall „Young people’s concerts“ moderierte. Es war hinreißend, wie er Kinder für Klassik begeistern konnte. Auch als Pädagoge war er ein Gigant! Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal als Künstler mit ihm zusammen arbeiten würde. Ich wusste ja nicht mal, dass ich ein Sänger bin. Das dauerte dann noch Jahrzehnte. Ich begegnete ihm 1986 bei meinem Debüt an der Metropolitan Opera.

Was war er für Sie?

Ein Erzmusiker, eine enorme Persönlichkeit und wahrhaftig eine der Schlüsselfiguren der klassischen Musikszene Amerikas – nicht nur in meiner Generation.

Leonard Bernstein stand für eine nie endende Neugier auf die Vielfalt des Daseins und der Musik

Mit Bernstein teilen Sie, dass Grenzen nichts bedeuten, wenn die Musik gut ist. Sie haben Wagner genauso ehrgeizig gesungen wie Cole Porters „Kiss me, Kate“. Bernstein war Anwalt Gustav Mahlers und schrieb ein fetziges Musical...

Es geht schlicht um die höchste Qualität des jeweiligen Sujets. Es ist dumm, über Lehár die Nase zu rümpfen. Eine „Lustige Witwe“, die muss man erstmal schreiben können. Aber Qualität ist nicht allein der springende Punkt. Lenny hat mich und viele amerikanische Musiker sicher auch darin geprägt, dass Musik eine Sprache des Daseins ist und man nie aufhören darf, neugierig auf ihre Vielfalt zu sein. Sie zu verstehen und ihr zur Verfügung zu stehen, ist mir ein Bedürfnis. Ich würde das nie als Grenzgang sehen, weil ich dieses Denken in Grenzen nicht pflege.

Erinnern Musikerkollegen sich an die Arbeit mit Bernstein, schwärmen sie einerseits, von „phänomenalen Proben“, erinnern sich aber auch, dass der Meister bei Aufführungen total impulsiv vom Vereinbarten abweichen konnte...

Ach, das kann bei allen Großen vorkommen. Stimmt: Lenny konnte sehr spontan sein, es gab das, was wir „Spaziergänge“ nennen. Aber in seiner Genialität war es immer begründet.

Für Thomas Hampson bleiben Bernsteins Kompositionen unvergessen

Was ist das künstlerische Erbe, was bleibt von Leonard Bernstein?

Gute Frage! Wir haben drei, vier Lennys, den Komponisten, den Dirigenten, den Show-Man und Jet-Setter, den Bürgerrechtler. Sein Vermächtnis ist die Vielfalt. Aber am Ende würde ich ihn seiner Kompositionen wegen unvergessen finden. Seine Vokalwerke kommen für mich aus einer ganz treuen, sehr wahrhaftigen Ecke seiner Seele, obwohl er selbst ein furchtbarer Sänger war. Singen konnte er überhaupt nicht. Aber gewiss bleibt er auch als genialer Dirigent.

Was zeichnete ihn dabei aus?

Es war unglaublich spannend mit ihm aufzutreten, selbst bei „Wo isser jetzt?“-Abenden (lacht). Mit ihm zu musizieren, war ein Gespräch. Es war aufregend, jeder Abend war neu, unverbraucht, spontan und aufgeladen von einer unglaublichen Energie.

Was haben Sie von ihm gelernt?

Diese volle Liebe zur Sache war ansteckend und immer 150 Prozent. Wenn ich was gelernt habe, dann das: Bereite dich vor, studier’, was das Zeug hält – aber in dem Moment, wo Du auftrittst, ist es einfach nur noch Musik ohne groß zu denken, ohne Umwege, ganz pur.

Reden wir auch über jenen Augenblick, in dem der Kontrollverlust uns magische Momente schenkt?

Klar: Du musst dich für den Moment abgeben. Letzendlich geht es um die Musik und nicht um dich.

„Bernstein war keine Diva. Diesem Mann ging es nur um die Botschaft der Musik“

Auch bei Bernstein, den mancher als Diva bezeichnete?

Ach, Diva! Es ging diesem Mann nur um Musik. Und wenn er ein bisschen viel getanzt hat beim Dirigieren, bitte, das interessiert mich nicht. Er diente der Botschaft der Musik. Einen „Schaut mal her, wie toll ich dirigiere!“-Bernstein kenne ich nicht. Die Musiker haben ihn geliebt.

Ihre Tochter Kate hat einen Hund: Lenny. Ein Hommage an Bernstein?

Ehrlich gesagt: Ich glaube, dass hatte anfangs eher mit Lenny Kravitz zu tun, (lacht)

Und heute?

Es ist bei uns ein fester Titel. Lenny ist nämlich gestorben, und es gab einen neuen Hund. Wie sollte er heißen? „Schau Schatzi, wir werden ihn ja eh’ Lenny rufen“, habe ich zu meiner Tochter gesagt. So ist es gekommen. Der neue heißt „Lenny 2.0“.

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Werke von Gustav Mahler, dessen Renaissance Leonard Bernstein wesentlich beeinflusste, bringt Thomas Hampson für den Abend „To Lenny with love“ nach Essen. Natürlich erklingen auch Songs und Arien von Bernstein selbst. Den Liederabend begleitet Wolfram Rieger am Flügel.

Karten für den Abend am 19. Mai, 20h, (verschoben vom 6. Januar!) gibt es für einheitlich 28€ auf allen Plätzen der Essener Philharmonie. Tickets unter 0201-8122200 oder per Internet unter www.philharmonie-essen.de