Havanna. . Ein Besuch bei der „Escuela Nacional Cubana de Ballet“ in Havanna, der Tanz-Eliteschmiede Kubas. Hier probt das „Ballet Revolucion“.
Unter den rund 1200 Werken kubanischer Maler und Bildhauer im Palast der schönen Künste hängt auch der Schriftzug „Revolucion“ von Alejandro Aguilera, und er sieht aus wie die Stadtlandschaft auf der anderen Seite der Museumsmauern: gesprungenes Glas, verwitterte Kacheln, ein Hauch von Erotik im Spitzentuch, bröckelnder Putz, notdürftig genietetes Metall und ein rotweiß gepunktetes Muster lassen die 50er-Jahre so aufleben wie die liebevoll polierte Flotte aus Heckflossen-Limousinen draußen, die längst zum allgegenwärtigen, florierenden Geschäftsmodell geworden sind. Die sorgfältig restaurierten Heckflossen-Straßenkreuzer, die nicht von ungefähr alle Bilderbuch-Bildbände über Havanna dominieren, blitzen durch die Bank vor Chrom und Lack, auch die Polster dieser Touristen-Kutschen mit abgasfreudigem Sechs-Liter-Motor sind meist tiptop gepflegt.
Der größte Gleichmacher in Havanna aber ist der Zahn der Zeit. Die Revolution ist so auf den Hund gekommen wie die allermeisten Straßen und Häuser dieser ehemals reichsten Stadt Amerikas. Heute haben nur wenige Menschen etwas zu tun, viele sitzen, lehnen, lungern vor den Häusern und warten darauf, dass irgendwas passiert. Vier Prozent der Altstadt sollen restauriert sein, hört man immer wieder, aber spätestens in den Gassen merkt man, dass vier Prozent so gut wie nichts sind. Immerhin, kein Kubaner hungert, alle hier können lesen und schreiben, und wenn sie könnten, lächelt ein Kubaner am Museum, „würden sie so viel Geld für Mode ausgeben wie die Deutschen für Autos.“ Die medizinische Versorgung ist gut, auch wenn bei 20 Dollar Monatsverdienst viele Ärzte der Verlockung erliegen, ins Ausland zu gehen.
Museum mit Kombizange und Klapppfanne
Gegenüber vom Palast der schönen Künste feiert in Havanna das Revolutionsmuseum solche Dinge wie eine revolutionäre Kombizange oder die klappbare Pfanne, die Che Guevara einst benutzte, nachdem er sie den Yankees abgejagt hatte. Und natürlich, wie ein Heiligtum eingehaust, die Yacht „Granma“, mit der Fidel Castro und die Seinen auf Kuba anlegten, um die Fackel der Revolution zu entzünden.
Schräg über die Straße dann, am Paseo del Prado, ein mächtiger alter Palast, eindrucksvoll restauriert – hier sitzt seit 17 Jahren die „Escuela Nacional Cubana de Ballet“, die Ballett-Schmiede des Landes, die jedes Jahr 30 bis 40 neue Spitzen-Tänzerinnen und Tänzer hervorbringt, ein Ort der Schönheit und ein Ort der Hoffnung. Mit neun Jahren kommen die Jüngsten hierher, und das hier ist ihre Schule, in der sie, von Kopf bis Fuß in Schuluniformen gekleidet und ebenso lustig wie lautstark über die Flure lärmen wie Kinder auf der ganzen Welt und in den Klassenräumen dann auch Mathe, Geschichte und Politik lernen.
Noch älter als die Revolution
Aber sie sind hier, weil sie Tanz-Talent haben, und diese Hochschule, die noch älter ist als die Revolution, ist eine Kaderschmiede der geschmeidigen Art. In einem Saal im Parterre herrscht ordentlicher Lärm, George Michael dröhnt aus den Lautsprechern, wenn nicht gerade Straßenlärm und -geschwätz gemeinsam mit tropisch feuchter Warmluft durch die raumhohen Fensteröffnungen dringt, die notdürftig abgedichtet sind gegen neugierige Blicke von außen.
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Jetzt probt hier das „Ballet Revolucion“, eine eingängige Tanzshow, die der Produzent Mark Brady und der Choreograf Aaron Cash, beides Australier, 2011 ins Leben riefen, die Premiere war damals in Perth. Der kubanischen Regierung gefiel die Idee, und die „Ballet Revolucion“-Macher sind heute stolz darauf, dass ihre Plakate im kubanischen Kulturministerium hängen, wo man immer wieder wegen irgendwelcher Genehmigungen vorsprechen muss. Heute bereiten sie bereits die sechste Show vor, und wieder brechen sie die klassische Tanz-Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen auf.
Athletische Tänzer, exzellente Musiker
Das „Ballet“ mit seinen überaus athletischen Tänzerinnen und Tänzern bewegt sich zu westlicher Pop-Musik, die Band besteht aus exzellenten Musikern. Eine Konzession an den Publikumsgeschmack? „Ach was“, sagt eine atemlose, durchgeschwitzte Barbara, die mit vollem Namen Barbara Lisandra Patterson Sanchez heißt, „das ist doch die Musik, die wir selber gerne hören!“ Barbara, 26 Jahre jung, war schon zwei Mal mit dem „Ballet Revolucion“ auf Welttournee. Barbara ist eine der elegantesten, sichersten Tänzerinnen des Ensembles – ein durchaus verlockendes Angebot des National Ballet in London aber hat sie abgelehnt. Denn von den Einnahmen beim „Ballet Revolucion“, dessen Tänzerinnen und Tänzer nach amerikanischen Maßstäben (und in ausländischer Währung) bezahlt werden, hat sich Barbara eine Eigentumswohnung gekauft, gleich hinter dem „Melia Cohiba“, einem der beiden Fünf-Sterne-Hotels in Havanna.
Doch der sechsstöckige Wohnblock, in dem sie jetzt zu Hause ist, wirkt, als hätte man ihn aus einem Armenviertel einer osteuropäischen Großstadt hierher verpflanzt. Das Treppenhaus wirkt wenig vertrauenswürdig, der Geruch ist stechend – aber innen ist die Wohnung von schlichter, wohnlicher Eleganz. Topmoderne Möbel, blitzblanker Boden. Barbara und ihr Freund Alexander Vinicio Melo Alvear, der als Hip-Hop-Tänzer aus Ecuador zu der „Ballet Revolucion“-Truppe stieß, haben sogar einen Fernseher: „Ja“, lächelt sie mit einem Anflug von Verlegenheit, „den haben wir im Schlafzimmer – als uns vor einigen Monaten der Hurrikan ,Irma’ drohte, haben wir ihn zur Sicherheit da hingeschafft. Und seitdem steht er da...“
Tourismus als Stütze des Wirtschaftssystems
Der Hurrikan vor einigen Monaten hat ein halbes Baseball-Stadion hinweggefegt und lässt mit seinen horrenden Schäden selbst den sechsspurigen einstigen Prachtboulevard Malecon nur noch armselig wirken. Als Barack Obama die Kuba-Sanktionen der USA gelockert hatte, war Optimismus aufgekommen auf der Insel, die nach wie vor außer Rum und Tabak wenig Exportartikel hat: Der Tourismus und die Dollars der Exil-Kubaner sind längst die größte Stütze des Wirtschaftssystems. Daran ändert auch ein weltweit gefragter Exportartikel namens „Ballet Revolucion“ nichts.