Schauspieler Joachim Meyerhoff schreibt im vierten Teil seiner großen Selbsterzählung vom Karrierebeginn in Bielefeld und Dortmund.
Dortmund ist eine „prollige Bier- und Fußballstadt“, aber immerhin: Dortmund ist nicht Bielefeld. Der Jungschauspieler Joachim Meyerhoff hat definitiv genug von Bielefeld, auch wenn es dort die Studentin Hannah gibt – aber dafür findet sich in Dortmund die Tänzerin Franka. Und die Bäckerin Ilse. „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ lautet folgerichtig der Titel des vierten und letzten Bandes von Joachim Meyerhoffs großer Selbsterzählung. Nach der Kindheit und Jugend auf dem Anstaltsgelände einer Psychiatrie, nach einem Austauschjahr in Wyoming, dem Schauspielstudium in München und dem großbürgerlichen Leben bei den Großeltern erzählt Meyerhoff – seit 2005 Ensemblemitglied an der Wiener Burg – nun von seinen Anfängen in der deutschen Theaterprovinz.
Zweitausend Menschen bei der Premierenlesung (in Hamburgs Elbphilharmonie): Meyerhoff ist, was den Kultstatus betrifft, der deutsche Karl Ove Knausgård – ersetzt aber dessen Selbstüberhöhung durch konsequente Selbsterniedrigung. Geht es auch nicht mehr um die radikalen Abgründe (wie etwa die Trauer um den verunglückten Bruder in „Alle Toten fliegen hoch“), so gewinnt Meyerhoff auch aus den kleinsten Peinlichkeiten größtmögliches seelisches Absturzpotenzial. So wird er gleich in der ersten Dortmunder Rolle im Musical Anatevka zum sangestechnischen „Desaster“ erklärt: „Das Entsetzen schloss mich ganz ein. Ich war der Mittelpunkt eines großformatig paralysierten Rundpanoramas.“ Und als Rezitator im Dortmunder Harenberg-Center zerlacht er die Todesfuge von Paul Celan, was ihm einen Verriss in der WAZ einbringt – die er allerdings irrtümlich „Westfälische“ Allgemeine Zeitung nennt.
Oder ist die leichte Abweichung von der Realität gar Programm? Schafft die Übertreibung, Ausschmückung als Stilmittel einen ganz eigenen Raum, in dem der Erzähler die entscheidenden literarischen Zentimeter weit vom Autor abrückt? So ist der Dreiklang der Damen, mit denen Meyerhoff – nach der eher abstinenten Münchner Zeit bei den Großeltern – geprägt von dramaturgischen Kniffen, in denen die eine mit im Zug sitzt, während die andere am Bahnsteig wartet.
Studentin, Tänzerin und Bäckersfrau
Alle drei scheinen monströs: Die „rassige“ Tänzerin mit ihren Stahlbeinen, die aus der Kittelschürze quellende Bäckersfrau, die ihrem „Hungerhaken“ „das beste Schwarzbrot meines Lebens“ serviert. Nicht zuletzt die kluge Studentin Hannah: „Zu große Zähne, zu große Augen, zu platte Nase, verdammt kurze Haare“, so Meyerhoff: „Sie gefiel mir sofort sehr.“
Das zielstrebige Zusteuern auf die Pointe hin, das Straucheln und Scheitern, die hinreißend komische Fähigkeit zur Selbstbeobachtung: Auch Band vier erlaubt einmal mehr das umgehende Eintauchen in den vertrauten Meyerhoff-Kosmos, in dem der Erzähler von sich spricht – und doch immer uns meint. Gerade in Dortmund.
Joachim Meyerhoff: Die Zweisamkeit der Einzelgänger. Kiepenheuer & Witsch, 416 S., 24 €