Essen. . Am 1. Dezember erscheint mit „Songs Of Experience“ das neue Album von U2. Die irische Band besinnt sich darin auf ihre Anfänge.

„Das hier war in der Vergangenheit ein großartiger Ort für Protest“, rief der Frontmann von U2, bürgerlich Paul Hewson, unlängst in die Londoner Novembernacht. Halbe Sachen sind nicht die Spezialität von U2, und so spielten Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen jr. im Rahmen der MTV-Awards am zweiten Novemberwochenende ein Konzert auf dem Trafalgar Square.

Man dachte kurz „Oje“, doch Protest gab es keinen, im Gegenteil. Die Atmosphäre war, trotz Eiseskälte, friedlich entzückt bis überwältigend, und wo man schon mal da war, drehte man auch gleich ein Live-Video zur neuen, im Stile von „Beautiful Day“ komponierten Single „Get Out Of Your Own Way“. Bono trug die irische Flagge unter seinem Mantel und strahlte mit dem Publikum um die Wette.

Weltpolitik und Liebe

„Songs Of Experience“ ist ein durchaus mitreißendes, vielschichtiges, üppiges, überzeugendes und leidenschaftliches (Spät-?)Werk der vier Iren. Das Album, an dem U2 gut zweieinhalb Jahre tüftelten, ist Fortsetzung und Gegenstück von „Songs Of Innocence“, das im Herbst 2014 erschien – sprichwörtlich über Nacht. Dieses Mal veröffentlichen sie wieder ganz klassisch, und überhaupt: Wer „Songs Of Experience“ als Rückbesinnung auf die Wurzeln von U2 beschreibt, der liegt damit nicht falsch. „Uns war wichtig, dass die Songs ohne Tricks funktionierten“, so Bono.

Und während man schrieb und aufnahm und zwischendurch auch noch die große Welttournee zum 30-jährigen Jubiläum des „The Joshua Tree“-Albums absolvierte, färbte sich die Weltpolitik zunehmend dunkel ein. „Plötzlich entwickelte sich die Welt wieder weg von Fairness und Gerechtigkeit“, so Bono, und diesen Zustand habe man mit aufnehmen wollen in die Lieder.

Dennoch ist einmal mehr die Liebe das zentrale Thema auf diesem Album. Mit „Love Is All We Have Left“ beginnt die Platte auf stille, akustische, zu Herzen gehende Weise. „This is not the time not to be alive“, singt Bono, und man ist gerührt. Auch das finale „13 (There Is A Light“) klingt zart und zärtlich, aber etwas hymnischer. Dazwischen spielt sich eine Menge ab. Gitarre, Bass und Schlagzeug erklingen wieder ruppiger und kantiger als auf dem doch recht uneckig produzierten „Songs Of Innocence“, speziell „Lights Of Home“ lässt die Gitarren schnarren, während Drummer Mullen auf „American Soul“ ordentlich Druck macht und sich Bassist Clayton auf „Red Flag Day“ austoben darf.

Logisch ist auch, dass es ganz ohne Anti-Donald-Trump-Wut nicht geht. „Wäre komisch gewesen, wenn wir Trump ignoriert hätten“, sagt The Edge, und so bekommt der US-Präsident im Text von „American Soul“ ein paar kräftige Hiebe in die Seite. Aber es gibt natürlich auch einige große Balladen. „The Little Things That Give You Away“ ist ruhig und erhaben und schön. „Landlady“ ist hübsch und intim, während „Love Is Bigger Than Anything In Its Way“ das U2-hymnigste aller neuen Lieder ist. Richtig poppig werden sie – so man vom „You’re The Best Thing About Me“ absieht – nur einmal, „Summer Of Love“ erinnert einen Robin-Schulz-Hit. Dafür geht es hier inhaltlich umso tiefer. Nachdem Bono einen Bericht über einen Mann in Syrien sah, der mitten im Bürgerkrieg seinen Garten hegte, schrieb er diesen Text über trotziges Durchhalten in widrigen Zeiten. Womöglich denkt der Künstler dabei auch an sich selbst.