Essen. . Märchen der Superhelden: Humperdincks Dauerbrenner „Hänsel und Gretel“ ist am Aalto in Essen eine Gratwanderung zwischen Traum und Realität.
„Knusper, knusper Knäuschen, wer knabbert an meinem Häuschen?“ Wer wohl, wenn die Hexe davon nur träumen darf und das Publikum mit einer von Hänsel aus drei mickrigen Matratzen zusammengeschusterten Hütte vorlieb nehmen muss, die beim ersten Windhauch zusammenbricht? Marie-Helen Joël, die verdiente Sängerin und Leiterin der Pädagogik am Aalto-Theater, meint es mit ihrer Inszenierung gut, wenn sie bei Humperdincks Dauerbrenner „Hänsel und Gretel“ die Handlung als Gratwanderung zwischen Traum und Realität darstellen will.
Allerdings sorgt sie damit für Verwirrung, nicht nur bei Kindern, sondern auch bei erwachsenen Besuchern. Dass man auf ein Hexenhäuschen verzichten muss, dass der gewaltsame Tod der Hexe und die Explosion des Backofens völlig unspektakulär verpuffen, ist besonders für die Kinder bedauerlich. Zumal die bescheidene Textverständlichkeit der Sänger die Irritationen nicht abfedern kann.
Nun ist „Hänsel und Gretel“ keine ausgesprochene Kinderoper, Joëls Konzept geht jedoch nicht auf: Hänsel und Gretel wachsen in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf, wollen nicht einschlafen und entschwinden durch ein großes Märchenbuch, um den Klassiker nachzuspielen. Jedes Problem, jede Gefahr bewältigen sie selbstbewusst und geschickt. Keine Kinder, die von Armut, Empfindungen und Ängsten geprägt sind, sondern kleine Superhelden. Das Ergebnis wirkt kühl und künstlich, kein Platz für Empathie.
Die Hexe verliert so ihre dämonische Ausstrahlung und tritt zunächst als bunte Vogelscheuche auf, bevor sie zur Klischee-Hexe wird, das Sand- und Taumännchen wird zur kleinen Zauberfee, die wechselweise und völlig verwirrend sowohl den Kindern als auch der Hexe hilft.
Kinderchor singt hervorragend
Ohne das Problem der Armut und die Ängste der Kinder verliert das Märchen seinen hintergründigen Sinn. Friedrich Haider unterstreicht die Nähe der Musik zu Humperdincks Idol Richard Wagner und lässt die orchestralen Wogen der Essener Philharmoniker mächtig aufbranden. Karin Strobos als Hänsel und Elbenita Kajtazi als Gretel erweisen sich als spielfreudige, vokal flexible junge Sängerinnen mit Zukunftsperspektiven. Albrecht Kludszuweit hat es nicht leicht, als Knusperhexe ein stimmiges Profil zu verleihen. Ein Sonderlob gebührt dem Kinderchor des Aalto-Theaters.
Es gab viel Premieren-Beifall, in den sich wenige Buhs für das szenische Team mischten.