Herne. . Gepriesen vom Ruhrgebiet: Lütfiye Güzel schreibt, verlegt und unterrichtet Literatur.
Die Preisträgerin im Literaturhaus Herne bedankte sich mit einem einzigen Satz: „Das war eine mutige und eine gute Entscheidung.“ Dann trug Lütfiye Güzel Text aus dem Buch „faible?“ vor, einer Art Bestenlese aus dem eigenen Verlag Go-Güzel-Publishing. Schnell wurde deutlich, was die Jury bewogen hatte, der 45-jährigen Autorin aus Duisburg den diesjährigen Literaturpreis Ruhr zuzusprechen. Ausgelobt hatten die mit 10 000 Euro dotierte und zum 32. Mal verliehene Auszeichnung der Regionalverband Ruhr und das Literaturbüro Ruhr in Gladbeck.
Schreib-Workshops
Güzel verfasst Gedichte und Prosa über ihren Alltag zwischen Schreiben und Einkaufen, Leben und Sterben. Oder wie sie es selbst ausdrückt: „Lütfiye Güzel, Lyrikerin aus Marxloh, auch oft in Berlin und on the road, terrorisiert mit inzwischen acht Veröffentlichungen den grauen Alltag, melancholisch und ohne Umwege.“ Sie kümmere sich wenig um die Literaturszene, bekannte die Autorin nach der Preisverleihung im Gespräch: „Ich mache einfach mein Ding.“ Dazu gehört neben dem Schreiben und Verlegen eigener Text die Ermutigung junger Leute in Schreib-Workshops. Sie freue sich, dass der Preis an eine „Außenseiterin“ gehe, so Güzel, „weil ihn das etwas entstaubt“.
Von „poetischen Schrappnellen“ hatte Hannes Krauss, einer der Juroren, in seiner kurzweiligen Laudatio gesprochen. In Güzels „Kürzesttexten“ paare sich „vordergründige Schlichtheit mit Hintersinn“, so Krauss. „Hier sind Gedanken, Beobachtungen, Wahrnehmungen komprimiert, die oft erst im Nach- und Weiterdenken ihre Explosivität entfalten.“ Auch von den türkischen Eltern und den Schwestern ist die Rede. Doch ihre Biografie sei nicht Thema, sagte Krauss, sondern „Ausgangspunkt für den fremden, das heißt besonders genauen Blick.“ Nicht-Übereinstimmung – mit Normen, Konventionen, Gepflogenheiten und Erwartungen – das sei „ein zentrales Merkmal von Lütfiye Güzels Texten – und die Basis ihrer literarischen Qualität.“ Krauss verwies darauf, dass der Autorin mit „Oh, No!“ auch ein fünfzigseitiger Bildungsroman („als Novelle getarnt“) gelungen sei. Hier wie dort sprieße „unter der Oberfläche des Revieralltags die Poesie“.
Vor Krauss hatte Jurorin Ulli Langenbrinck die diesjährigen Förderpreisträger gewürdigt, Doris Konradi aus Köln und Sascha Pranschke aus Dortmund. Sie hatten wie 196 Mitbewerber das Thema „Das Klopfen an der Tür“ aufgegriffen. In Pranschkes Erzählung „Reparaturen“ ist es ein gebückter Unbekannter namens Berger, der bei Jablonsky plötzlich vor der Tür steht und sich in sein Leben drängt.
„Ebenso originell wie spielerisch“, so die Laudatorin, inszeniere der Autor seine Geschichte als „surreal anmutende feindliche Übernahme“. Pranschkes Erzählung habe mit ihrer „souveränen pointierten Erzählweise“, ihrem „originellen vielschichtigen Plot“ und ihrer hohen literarischen Qualität gleich überzeugt.
Doris Konradi erzählt in „Der Maulwurf“ von einer Studentin, die sich von ihrem Nachbarn beobachtet fühlt. Sie ist es, die schließlich bei dem Mann anklopft, einmal, dann täglich. Er öffnet nie. „Stilistisch elegant sensibel und mit hoher poetischer Qualität“ schildere die Autorin die „subtile Bedrohungssituation, in der jedoch äußerlich nicht wirklich Bedrohliches geschieht“, so Ulli Langenbrinck. „Mit feinen Strichen“ zeichne sie „eine atmosphärisch dichte Momentaufnahme aus dem Ruhrgebiet. Die Förderpreise sind mit jeweils 2555 Euro dotiert.