Gelsenkirchen. . Selten zu hören, aber im Lutherjahr ideal platziert. Gelsenkirchens Musiktheater bringt einen starke Inszenierung von Hindemiths „Mathis der Maler“ heraus.
„Mathis der Maler“ ist ein Werk, das den Betrachter mit seiner musikalischen Schlagkraft und seiner Themenfülle wie eine Druckwelle erfasst und überrollt. Paul Hindemiths Oper, angesiedelt in unruhigen Zeiten der Reformation, komponiert unter der bedrohlichen Dunstglocke des Nationalsozialismus, ist ein Stück, das den Hörer drei Stunden lang fordert, in Spannung hält und am Ende mit ungelösten Fragen zurücklässt. Mit Fragen zur Verantwortung des Menschen in Zeiten, die aus den Fugen geraten sind. Ein Werk also, das seit seiner Uraufführung im Züricher Exil 1938 nichts von seiner Brisanz verloren hat.
Paul Hindemiths „Mathis der Maler“ besitzt eine Musik von bedrohlicher Explosivität
Ein Werk auch, das den Vorwurf widerlegt, der einstige Bürgerschreck Hindemith habe sich zu einem frömmelnden Christen domestiziert. Das Gegenteil ist der Fall, wie die Neuinszenierung am Musiktheater im Revier durch Intendant Michael Schulz und mehr noch die musikalische Umsetzung durch Generalmusikdirektor Rasmus Baumann zeigt. Baumann führt die Massen- und Ensembleszenen mit der vorzüglich aufspielenden „Neuen Philharmonie Westfalen“ zu Höhepunkten von bedrohlicher Explosivkraft.
Auch die religiös besetzten Teile: Mathis‘ „Alleluja“-Sequenz erklingt wie ein verzweifelter Bittgesang, ebenso die Visionen, die der Maler mit den Bildern des „Engelskonzerts“ verbindet. Von den satanischen „Versuchungen des Antonius“ ganz zu schweigen. Hindemiths Figuren beten nicht, sie flehen um Hilfe, die letztlich ausbleibt.
Mathis alias Matthias Grünewald, der sich nach einer Bücherverbrennung protestantischer Lektüren vom Malen abwendet und in die Wirren der Bauernkriege stürzt, muss erfahren, wie der Glaube, ob katholisch oder lutherisch, zum Spielball egoistischer politischer Kräfte verkommt. Am Ende bleibt als einzige Erkenntnis die Aufforderung an sich selbst, sich der Verantwortung gegenüber den Fragen der Zeit zu stellen.
Hindemith hat die Ballung zeitloser Probleme in Musik von expressiver Glut gekleidet, die Baumann auf den Siedepunkt bringt. Da gerät Urban Malmberg (Titelrolle) mit recht leichtem Bariton schnell an stimmliche Grenzen. Glänzend dagegen: Tobias Haaks als Bauernführer Hans Schwalb. Und auch Martin Homrich, der mit seinem pointiert ansprechenden Charakter-Tenor als Kardinal Albrecht von Brandenburg überzeugt.
Michael Schulz inszeniert am Musiktheater im Revier ohne einengende Aktualisierung
Trotz einiger Gäste ist die Ensembleleistung hervorzuheben. Vorzüglich präsentiert sich die junge Sopranistin Bele Kumberger als Rebellentochter Regina. Yamina Maamar in der hochdramatischen Partie der Ursula hat es mit ihren beinhart ansprechenden Höhen schwerer. Die extrem anspruchsvolle Chorpartie ist bei den Chören des Musiktheaters im Revier gut aufgehoben, Unsicherheiten dürften sich im Laufe der Aufführungen noch beheben lassen.
Michael Schulz tut gut daran, auf einengende Aktualisierungen zu verzichten. Bühnenbildnerin Heike Scheele schafft mit ihrer beweglichen Mauerlandschaft eine neutrale Aura und auch Schulz‘ Inszenierung scheut sich nicht, die teilweise brutalen Szenen mit realistischer Brisanz auszuspielen. Die christlichen Visionen gegen Ende, vor allem zum „Engelskonzert“, reichert er zwar mit Bilderbuch-Engelchen an, die sich jedoch schnell als wirkungslose Staffage entpuppen, wenn in den „Visionen des Antonius“ Figuren aus Politik und Justiz auftauchen, die zeigen, wer das Rad der Geschichte dreht.
Die Rolle des Künstlers betrachtet Schulz eher nebensächlich. Anspielungen auf Maltechniken von Yves Klein oder Daniel Spoerri gehen übers Dekorative nicht hinaus. Dafür ist die dem Text verbundene Personenführung hervorzuheben.
Fazit: Ein dreistündiges Ereignis, das nicht zum entspannenden abendlichen „Absacker“ taugt, dafür aber Musiktheater von einer ungeheuren Konzentration bietet. Das Publikum reagierte begeistert.
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Mathis der Maler, ca. 3 Std., Musiktheater im Revier, Kennedyplatz, Gelsenkirchen.
Die nächsten Aufführungen: am 1., 9., 12. und 26. November sowie am 10. und 30. Dezember. Karten (ab 14 €) unter 0209 - 40 97 200 und unter www.musiktheater-im-revier.de