Essen. . Im 40. Jahr kommt die Zeitschrift mit der 89. Nummer voller Trobadore, wilder Dichter und Literatur im richtigen Film – und in bewährter Qualität.

Es ist kein wirklich rundes Jubiläum, wenn das „Schreibheft“ mit seiner 89. Ausgabe das 40. Jahr seines Bestehens begeht. Aber was wäre das auch für ein Kriterium bei einer Literaturzeitschrift, zu deren Kern gerade das Kantige gehört, die Spitze, das Schräge, das Unrunde. 1977, als Schriftsteller und Literaturfreunde im Revier noch misstrauisch beäugt wurden, aus einer Schreibwerkstatt der Essener Volkshochschule hervorgegangen, formte Norbert Wehr, der seit 1982 Herausgeber ist, das „Schreibheft“ zu einer republikweit anerkannten Stimme der Literatur.

Kommunizierende Literaturröhren

Der Hermann-Hesse-Preis, der Alfred-Kerr-Preis, der Kurt-Wolff-Preis und der Literaturpreis Ruhr waren Auszeichnungen dafür, dass diese Literaturzeitschrift, anders als andere, nicht exzellente Texte nach- und nebenein­ander druckt, sondern Texte avancierter Autoren und Kritiker miteinander ins Gespräch gebracht werden – in ein Gespräch, das Norbert Wehr als Herausgeber konfiguriert, bei dem am Ende aber die Leser entscheiden, wie es ausgeht. Wehr legt kommunizierende Röhren an, die stumm bleiben, sofern sich Leser nicht mit eigenem Denken einschalten. Das ist weder mehrheitsfähig noch anfängerfreundlich, aber ein solitäres Lese-Angebot, ein literarisches Juwel allemal, das ohne den aufgeblasenen Jargon der Wichtigkeit auskommt, wie Literatur über Literatur ihn oft pflegt.

Es geht immer gleich zur Sache, und das ist vielleicht das Revier-Typische an dieser Zeitschrift, die inzwischen zugleich auch in Köln entsteht. Den Begriff „Infrarealismus“ werden nicht einmal alle „Schreibheft“-Leser gekannt haben, aber im neuen Heft bekommt diese wilde südamerikanische Dichtergruppe der 70er-Jahre rund um den früh verstorbenen Roberto Bolaño (1953-2003) intellektuelle, geistesgeschichtliche und gesellschaftliche Konturen.

Literarische Feinkost erster Güte wiederum ist das wunderbare Dossier über „Die Dichtung der Trobadore“ wie Bertrand de Born: Es überträgt Werke jener südfranzösischen Hochkultur, die auch mittelhochdeutsche Minnesänger und Romandichter in Bewegung gesetzt hat, in aktuelles, zeitgenössisches Deutsch und beschreibt die historische Rolle dieser einzigartigen Literatur. Ob die beiden, die Texte, Übersetzungen und Begriffsklärungen zum Thema zusammengestellt haben, wirklich „Norbert Languedoc“ und „Josef Pastorelle“ heißen, mag dahingestellt bleiben – es zeigt allerdings, dass das Schreibheft die Literatur zwar ernst nimmt, darin aber keinen Anlass sieht, in Grimm zu verfallen.

Das gilt auch für den dritten Schwerpunkt des jüngsten Heftes, für „Literatur im Kino“, der in konventionellen Verfilmungen von Romanen blanken Kommerz erkennt und darauf beharrt, dass der Respekt vor der Literatur es verbietet, das Wort rest- und umstandslos im bewegten Bild aufgehen zu lassen. Wie es anders geht, bezeugen nicht zuletzt die Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub. Aber auch das Kopfkino, das so ein „Schreibheft“ in Gang setzt.