Bochum. . Zum Auftakt der Ruhrtriennale: Krzysztof Warlikowski inszeniert „Pelléas et Mélisande“ in der Bochumer Jahrhunderthalle.

Wäre lediglich die Eröffnung das Maß aller Dinge, wäre Jahr drei von Johan Simons in der Tat Höhepunkt und krönender Abschluss seiner Intendanz der Ruhrtriennale.

Herta Müller spielte bei ihrer Festspielrede virtuos auf der Klaviatur der Sprache. Ein Ausweg nach innen: Die Literaturnobelpreisträgerin führte einmal mehr in die Geschichte der Diktatur der grausamen rumänischen Variante des Kommunismus, die auch ein Teil ihrer eigenen Geschichte ist.

Eine ganz andere Art von Terror zeigte der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski dann in der Jahrhunderthalle mit seiner Interpretation von Claude Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ als Psychothriller.

In dem seit längerem ausverkauften immer wieder beeindruckenden Industriedenkmal folgten nicht nur NRW-Landesvater Armin Laschet oder Sylvia Löhrmann, stellvertretende Ministerpräsidentin der abgewählten rot-grünen Landesregierung, den fast rekordverdächtige vier Stunden währenden Bühnenweg der Gescheiterten. Überhaupt waren Politik, Wirtschaft und natürlich die Kulturszene bei dieser Eröffnung ohne roten Teppich und Galarummel gut vertreten.

Liebe, Begehren, Schmerz

Und Warlikowski geht zur Sache. Sein drastisch-packendes Theater von Liebe, Begehren, Schmerz und Sinnlichkeit trifft auf die mystisch-geheimnisvolle Welt der Musik Claude Debussys, deren schier unerschöpflichen Reichtum an Farben und Nuancen Meister Sylvain Cambreling mit den Bochumer Symphonikern kongenial entwickelt. Er zeigt die Geschichte einer verkorksten Familie der kaputten Beziehungen, die der alte Arkel mit eiserner Hand versucht, zusammen zu halten. Franz-Josef Selig, dessen Weltkarriere einst am Essener Aalto-Theater begann, verleiht mit seinem weichen und zugleich profunden raumgreifenden Bass dieser Partie etwas Schauerlich-Schönes. Das süße Gift eines taktierenden Tyrannen, der nicht verhindern kann, dass sein jüngerer Enkel Pelléas am Ende von seinem Halbbruder Golaud erstochen wird, der in seiner Eifersucht auch Mélisande tödlich verletzt.

Die Neon-Bar als Gegenwelt

Vom äußersten Ende, platziert zwischen den Aufgängen einer eleganten Showtreppe, strömt die Musik in den Raum, den Warlikowskis Stamm-Bühnenbildnerin Malgorzata Szczesniak auf der einen Seite wie die Villa eines Industriellen-Clans mit Parkett und hoher Holztäfelung kostbar ausstattet. Als Gegenwelt eine Neon-Bar, an der sich Arkels Enkel Golaud – ein bärtiger Brutalo – und Mélisande treffen, im Rausch. Dahinter eine Reihe Waschbecken, wie in einer Kaue, Ort für Schmuddelsex der beiden Gestrandeten. In diese kaputte Familie wird Mélisande als Fremde, die sie immer bleiben wird, eingeführt. Es entwickelt sich ein Alptraum aus Nähe und Ferne, beginnender Vertrautheit zwischen Mélisande und ihrem Schwager Pelléas. Die Besetzung ideal: Phillip Addis verleiht seinem klaren, auch höhensicheren Bariton das Schillernde einer zerrissenen Persönlichkeit. Leigh Melroses Bariton besitzt die kernige Eleganz des machohaften Verführers aber auch des vor grundloser Eifersucht vergehenden Golaud. Festspielwürdig auch Sara Mingardo als Geneviève und Gabriel Böer als Yniold. Über allem schwebt der wie von innen heraus glühende Sopran der Barbara Hannigan, einer Sänger-Darstellerin, die virtuos mit dem eindeutig-uneindeutigen dieser Partie spielt und Krzysztof Warlikowski auf dessen Weg ins Innere dieses Psychodramas bedingungslos folgt.

Weitere Vorstellungen: 24., 26., 27. und 31. August. Info: www.ruhrtriennale.de