Nürnberg. . Daniel Hope wird Residenzkünstler in Essen. Ein Gespräch über seine DNA, digitalen Druck, eine langsame Karriere und vergessene Instrumente.

Eben hat er das größte Publikum seines Lebens gehabt: 80 000 jubelten Daniel Hope beim Open Air-Konzert in Nürnberg zu. Jetzt freut sich der britisch-südafrikanische Stargeiger mit Wohnsitz Berlin auf Essen. Denn Hope ist neuer Residenzkünstler der Philharmonie — und voller Vorfreude. Lars von der Gönna traf ihn zum Gespräch.

Ist das Ihre erste Residenz?

Daniel Hope: Ich war schon mehrfach Residenzkünstler, aber der Aufschlag, die Bandbreite, die Essen mir gibt, das übertrifft alles. Acht ganz verschiedene Projekte an ei­nem Ort! Der Intendant und sein Team haben mir enorme Freiheit gegeben. Das passiert sehr selten – und es ist das, wonach ein Künstler sich sehnt.

Also bekommen die Menschen die vielen Gesichter des Daniel Hope . . .

Absolut, vom Kinderkonzert „Grüffelo“ bis zu einem Projekt, für das 100 junge Geigerinnen und Geiger nach Essen kommen – es zeigt viel von dem, was mich antreibt.

Sie kennen die Philharmonie . . .

Ich weiß noch genau, wie ich 2012 das erste Mal hier auftrat. Ich betrat diesen traumhaften Saal und dachte: „Wow. Hier haben sie es richtig gemacht!“ Überall bauen sie ja neue Konzertsäle, hier aber stimmt alles.

Ihre Wiege stand in Durban, doch schon als Kind kamen Sie nach England. Woran denken Sie, wenn Sie an Südafrika denken?

Daran, wie meine Eltern vom Apartheid-Regime behandelt worden sind – das hat einen sehr schlechten Geschmack hinterlassen. Mein Vater ist Schriftsteller, schon damals ein sehr politischer Mensch. Als ich fünf oder sechs war, hat er mich in London zu Demonstrationen von Amnesty International mitgenommen. Er hat mich früh dazu ermutigt, eine eigene Meinung zu haben. Es musste nicht seine sein, aber stark sollte sie sein.

Was ist Ihre erste Erinnerung an klassische Musik?

Beethovens Violinkonzert! Meine Mutter hatte es auf Platte. Sie hat es mir als Dreijährigem vorgespielt, damit ich einschlafe. Immer und immer wieder. Dieses Stück ist Teil meiner DNA geworden.

Sie haben einen besonderen Klassikführer geschrieben. Der Titel: „Wann darf ich klatschen?“

Das Zitat verdanke ich einem Mittfünfziger. Ich war mit einer Lesung unterwegs und er sagte, dass er lieber daheim Musik höre und sich nicht ins Konzert traue, weil ihm der Dresscode im Konzert ein Rätsel sei, aber auch der Beifall. Beim Recherchieren habe ich gemerkt, wie wenig ich selbst von Applauskultur wusste. Ich habe tolle Geschichten gefunden: Im viktorianischen Zeitalter haben Männer mit dem Rücken zur Bühne gesessen, damit sie die Kleider der Frauen besser sehen konnten. Dazu haben sie Karten gespielt und getrunken. In Italien gab es im 18. Jahrhundert auf dem Land sogar ein Pissoir für Zuhörer direkt neben dem Orchester. Musiker waren Nebensache. Ich hatte Mühe, das Buch Verlagen schmackhaft zu machen. Es wurde ein Bestseller.

Sie spielen Klassik im digitalen Zeitalter, was bedeutet das?

Ich durfte und darf mit einem Genie wie dem heute 93-jährigen Pianisten Menahem Pressler musizieren. Er steht für eine Tradition, die es so nicht mehr gibt. Wenn wir auf Tournee waren, gab es selbst bei Stücken, die er tausendfach gespielt hat, drei, vier Stunden Probe. Jeden Tag! Er nahm sich Zeit, einfach aus Respekt gegenüber Beethoven. Der Klassik geht es vielfach sehr gut heute, aber das fehlt ein bisschen: die bedingungslose Liebe, die Kapitulation vor den großen Werken im besten Sinne.

Ist es nicht auch der Faktor Zeit?

Unsere Welt ist gehetzt. Im Prinzip ist unser Leben ein Video-Clip. Alles soll in zwei Minuten hin­einpassen oder in einen Tweet? Das gab es früher nicht. Wenn man sich heute nicht als Mönch einsperrt, ist es unmöglich, sich davon nicht beeinflussen zu lassen.

Auch das Karussell der Stars dreht sich schneller. Sind Sie froh, keine 20 mehr zu sein in dem Gewerbe?

Sehr! Ich hab’ wirklich klein angefangen: Ich war 13, meinte ganz gut Geige zu spielen und habe 2000 Briefe an jeden Music-Club in England geschrieben, immer mit einer Kassette drin. Die Resonanz war enorm: vier Einladungen (lacht).

Was passierte dann?

Ich fuhr hin, mit dem Zug nach Blackpool und so. In einem Saal hatten sie nicht mal einen Notenständer. Jedes Honorar zwischen 50 und 75 Pfund, das hat dann gerade das Porto für die 2000 Bewerbungen gedeckt. Aber ich hab da viel gelernt. Wie schafft man es, dass Leute ei­nem zuhören, wenn man Bartók spielt? Wie gestaltet man ein Programm? Es war eine unbezahlbare Schule fürs Leben.

Später haben Sie als Student in London Straßenmusik gemacht.

Das war eher Spaß, Weihnachtszeit, alles voller Touristen. Bach hat immer am meisten Geld gebracht (lacht). Aber wirklich: Meine Karriere hat sich extrem langsam aufgebaut, ich bin froh darüber.

Irritiert es Sie, dass mittelmäßige, aber hübsche Musiker irre Klick-Zahlen auf Youtube erzielen?

Nein, das war für mich nie ein Maßstab. Die Frage ist: Wird das transferiert? Darum geht’s. Wenn du eine Milliarde Klicks hast und einen leeren Konzertsaal, dann hat deine Botschaft keinen Erfolg. Das ist ein virtueller Triumph. Diese Leute werden sich nicht halten, da ist keine Substanz dahinter.

Es gibt viele Geschichten über große Geiger und ihr Instrument. Sie sind meines Wissens der einzige, der es einfach mal vergessen hat.

Gidon Kremer aber auch! Ich studierte in Lübeck, mein Vater besuchte mich dort, wir waren schön essen, die Geige hütete ich unterm Tisch, es war ein sehr lustiger Abend, es gab relativ viel Rotwein. Als ich in den Zug steige, fragt mein Vater: „Where’s the violin?“ Oh, Gott, Panik, die war im Lokal! Ich rannte wie verrückt durch die Stadt, stürzte ins Restaurant. An dem Tisch saß inzwischen ein Ehepaar. Die Geige war noch da. Sie hatten sie nicht bemerkt.

Hope heißt Hoffnung. Was ist Ihre für die Residenz in Essen?

Ich hoffe, für uns alle, dass Musik richtig zelebriert wird. Denn Musik ist für mich ein Fest!