Essen. . Das „Ensemble-Netzwerk“ kämpft für bessere Bedingungen für Schauspieler am Theater. Warum werden sie so schlecht bezahlt? Eine Spurensuche.
Der Applaus ist des Künstlers Lohn, heißt es – und zugleich eine Währung, die im nächsten Supermarkt schon nicht mehr gilt. Die jungen Schauspieler des „Ensemble-Netzwerks“ proben den Aufstand, fordern mehr Gehalt, mehr Mitsprache, mehr Sicherheit. An den Theatern der Region ist das Verständnis für die Forderungen groß, die Hindernisse in der Umsetzung aber sind es auch. Eine Spurensuche.
Ziegelsteindick liegt der Normalvertrag Bühne, kurz NV Bühne, vor Essens Intendant Christian Tombeil. Die Vergütung von Schauspielern, Sängern, Tänzern regelt das Werk seit gut 60 Jahren. Daneben aber gibt es an den Stadttheatern weitere Tarifverträge: Die Mitarbeiter für Bühne, Licht, Ton, Maske werden nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt, für Orchestermusiker wiederum gibt es den Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK). „Die Vielfalt der Verträge macht es eigentlich unmöglich, überhaupt jemals eine Vorstellung zu spielen“, sagt Christian Tombeil. Die Schauspieler sind dabei diejenigen, die am schlechtesten bezahlt werden; 1850 Euro beträgt die vom Deutschen Bühnenverein vorgeschriebene Mindestgage, nach immerhin vierjährigem Hochschulstudium: „Niemand kann erklären, warum ein Orchestermusiker als Anfänger mit 1000 Euro mehr im Monat nach Hause geht.“ Oder ein Bühnentechniker nach dreijähriger Ausbildung inklusive Zuschläge 2600 Euro monatlich erhält.
Hinzu kommt: „Der NV Bühne lässt Spielräume, die die anderen Tarifverträge nicht zulassen“, sagt Claudia Schmitz, Geschäftsführerin im Schauspielhaus Düsseldorf. Das bedeutet, dass Häuser unter Finanzdruck vor allem hier sparen könnten – wohingegen der TVöD keinerlei Handlungsmöglichkeiten lässt. „Wir bezahlen unsere Schauspieler anständig und über Tarif“, betont Claudia Schmitz. Aber welches Haus muss nicht sparen? Gespräche über Schauspielergehälter sind an den Theatern der Region immer auch Gespräche über ein Anstemmen gegen die Abwärtsspirale. „Der Grund, warum Anselm Weber seine Position hier in Bochum aufgegeben hat“, sagt Olaf Kröck, Intendant der Spielzeit 2017/2018,, „ist die Auseinandersetzung mit der Stadt Bochum um die Tarifsituation der künstlerischen Mitarbeiter.“ Denn lange Zeit hätte sich die Stadt geweigert, Tariferhöhungen auszugleichen – was für das Theater einer Etatkürzung gleichgekommen wäre. „Erst mit Webers Entscheidung ist die Stadt wachgeworden und hat ihre Entscheidung revidiert.“
Bochum ist mit 27 festangestellten Schauspielerinnen und Schauspielern das größte Haus der Region und finanziell mit einem künstlerischen Etat von 5,5 Millionen am besten ausgestattet. „Das Schauspielhaus hat den Anspruch, nicht nur künstlerisch, sondern auch strukturell mit den großen Häusern in Deutschland mitzuhalten“, betont Kröck. Wenn Dietmar Bär auf der Bühne stehen soll, dann müsse das Umfeld stimmen: „Es ist nicht die Gage allein“, sagt Kröck. Sondern: „Welche Atmosphäre herrscht im Haus? Werden meine Bedürfnisse wahrgenommen? Und die meiner Kollegen auch? Das ist eine weiche Flanke, die hohe Bedeutung hat.“
Vor allem die Gagen der jüngeren Kollegen hat das „Ensemble-Netzwerk“ im Blick – hier liegen die Reviertheater mit Einstiegsgehältern zwischen 1950 und 2100 Euro im bundesdeutschen Mittelfeld; allerdings hat Florian Fiedler mit seiner Ankündigung, in Oberhausen 2400 Euro zu bezahlen, für einen kleinen Aufruhr gesorgt. In Bochum wie auch in Essen wird betont, nicht den Einstieg allein, sondern das tarifliche Gesamtgefüge im Auge zu haben – sprich, auch in den mittleren und oberen Altersklassen angemessene Gehälter zu zahlen. „Ich könnte doppelt so viele Schauspieler engagieren, wenn ich nur junge Menschen einstellen würde“, sagt Christian Tombeil. „Die Hälfte unserer Schauspielerinnen und Schauspieler sind über 40“, es stehen drei Generationen auf der Bühne – „ich weiß auch nicht, ob eine Mutter Courage von 30 Jahren wirklich das wäre, was einen Zuschauer interessiert.“ Und auch für den Zusammenhalt des Ensemble sei es wichtig, „wenn ein Älterer mal einen Jüngeren beiseite nimmt und sagt, du, der Regisseur hat schon recht, du sprichst wirklich wahnsinnig unsauber, lass uns mal daran arbeiten.“ Das Sozialgefüge allerdings hat seinen Preis, betont auch Olaf Kröck: „Eine alleinerziehende Schauspielerin Mitte 40, die muss mit einem soliden Gehalt nach Hause gehen, um mit den verrückten Arbeitszeiten, die sie sowieso schon hat, irgendwie klarzukommen und ein ordentliches Familienleben zu leben.“
„Es ist schwer, mit so wenig Geld zu arbeiten“, sagt Kay Voges in Dortmund; sein Theater hat bei 16 festangestellten Schauspielern einen künstlerischen Etat von 1,4 Millionen Euro. „Ich kann die Nöte der Schauspieler extrem nachvollziehen. Das ist nicht mehr zeitgemäß.“ Sein Traum: Ein Gehaltsniveau, das sich auf Augenhöhe mit dem öffentlichen Dienst befindet, allerdings sei dies „eine politische Entscheidung“. „Wenn ich die Gagen um 200 Euro erhöhe“, sagt Dortmunds Intendant Kay Voges, dann muss ich zwei bis drei Stellen streichen. Hieße: Weniger Produktionen im Jahr, oder mehr Arbeit für die verbleibenden Schauspieler. Vor drei Wochen hat das Ensemble einen Brief an die Stadt Dortmund verfasst mit der Bitte um Etat-Aufstockung.
Mehr Geld von den Kommunen – die Forderung scheint im Ruhrgebiet nahezu utopisch. Interne Verteilungskämpfe sieht Christian Tombeil kommen: „Wenn in den Topf nicht mehr Geld kommt, Schauspieler aber mehr verdienen sollen, dann würde das eine Kürzung oder Deckelung der Gagen z. B. von Orchester- oder Chorkollegen bedeuten – ich weiß nicht, ob das den Mitgliedern des Ensemble-Netzwerks so klar ist.“ Das Schauspiel Essen als eine Sparte der Theater und Philharmonie Essen beschäftigt 17 Schauspielerinnen und Schauspieler, bei einem künstlerischen Etat von 2,8 Millionen Euro. Hinzu kamen bislang Drittmittel: Stiftungen förderten einzelne Produktionen, die oft einen aktuellen politischen oder sozialen Bezug hatten. „Pro Jahre waren das bislang rund 250.000 Euro, davon kann ich im Grillo-Theater zwei große Produktionen stemmen oder auch das ganze Casa- und Box-Programm mit sechs Produktionen“, so Tombeil. In krisenhaften Zeiten aber reduzieren auch die Stiftungen ihre Förderungen, „im Moment haben wir da ein Riesenproblem“.
So treffen die Forderungen des jungen Ensemble-Netzwerks auf immer leerere Töpfe. Warum aber haben ausgerechnet die Schauspieler als Herz des Theaters so lange nicht für ihre Rechte gekämpft, sich keine Lobby geschaffen wie etwa die gut organisierten Orchestermusiker? „Dahinter steckt womöglich ein Denken“, so Olaf Kröck, „das von der Idee des Künstlergenius kommt: Ein Künstler ist immer ein einzelner, genialer Schöpfer. Dabei zeigt das Theater schon seit Jahrhunderten, dass diese Kunst nur gemeinschaftlich funktioniert.“
Weitere Forderungen des Netzwerks
Die Samstagsproben sind in Bochum in der kommenden Spielzeit gestrichen. In Dortmund ist der Montagmorgen probenfrei – eine Entscheidung, die das Ensemble gemeinsam getroffen hat.
Teilzeitverträge über nur zwei oder drei Produktionen pro Spielzeit seien im Prinzip an allen Häusern möglich, so die einhellige Aussage.
Intendantenwechsel zogen bislang an allen Häusern personelle Konsequenzen im Ensemble nach sich – und werden dies wohl auch weiterhin tun. Abzuwägen gelte es, sagt Kay Voges, wie „die Qualität und Freiheit der Kunst“ vereinbar sein mit der „Fairness den Künstlern gegenüber“.